„Wir kommen stabil durch die Krise“

Foto: Standard Life
Christian Nuschele, Standard Life:

Der Brexit, die Übernahme durch die Phoenix-Group und die Übertragung von rund 600.000 Verträgen von deutschen und österreichischen Kunden nach Irland haben Standard Life deutlich gebeutelt. Doch die Gesellschaft findet in der Coronakrise zurück zu alter Stärke. Teil 1 des großen Interviews mit Christian Nuschele, Head of Sales and Marketing bei Standard Life Deutschland.

Im Frühjahr 2018 hatte die Phoenix Group Standard Life übernommen. Dann kam der Brexit dazu, in dessen Zuge Sie rund 600.000 Verträge von deutschen, österreichischen und irischen Kunden und 26 Milliarden Euro Versicherungsvermögen nach Irland übertragen hatten. Welche Auswirkungen hatten Eigentümerwechsel, Brexit und die damit verbundenen Diskussionen und Unsicherheiten auf das Deutschlandgeschäft?

Nuschele: Die haben zu diversen Rückfragen von unseren Geschäftspartnern, aber eben auch unseren Kunden geführt. Im Zuge des Brexits mussten wir alle Kunden ausführlich über die Details der Bestandsübertragung auf die Standard Life International in Dublin informieren. Wir mussten dazu einen gut 50-seitigen Katalog an jeden Kunden schicken, der überwiegend von Juristen in einem sehr hohen Detaillierungsgrad geschrieben wurde.

„Das war eine gewisse Zumutung“

Wir haben von Kunden wie Vermittlern das Feedback erhalten, dass es sich um viel Informationen und an einigen Stellen schlichtweg um zu viel handeln würde. Das war eine gewisse „Zumutung“, für die wir allerdings nichts können, weil sie aufgrund gesetzlicher Vorgaben einfach notwendig war. Dies hat zwar für eine gewisse Verunsicherung gesorgt, ein großes Stornovolumen haben wir in dieser Zeit aber nicht gesehen.

Wenngleich in den Monaten zwischen dem Brexitreferendum und der Umsetzung unserer Pläne ein paar tausend Verträge – über den normalen Schnitt hinaus – schon gekündigt wurden. 2019 haben wir dann noch „Federn lassen“ müssen, weil die Vermittler abwarten wollten, ob wir die Pläne rechtzeitig umsetzen.

Der zweite Aspekt, der im Markt verdaut werden musste, war, dass Phoenix Standard Life von Standard Life Aberdeen gekauft hat. Das hat auf Vermittlerseite ebenfalls für Nervosität gesorgt.

Wie haben Sie dann für Ruhe im Vertrieb gesorgt?

Nuschele: Phoenix ist auf dem deutschen Markt recht unbekannt und als die Ankündigung im Februar 2018 erfolgte, stand auf der Phoenix-Webseite „Run-off-Specialist“ und „Consolidator“. Konsolidieren bedeutet aber nicht run-off, sondern Zusammenführen von Versicherungsbeständen.Und das tut die Gruppe auch faktisch.

Sie kauft geschlossene Bestände, große Pensionsverpflichtungen und Betriebsrentenbestände und verwaltet diese weiter. Dazu gibt es mehrere Linien, in denen Neugeschäft betrieben wird. Wie etwa den Sterbegeld-Spezialisten Sun Life oder Standard Life mit dem Versicherungsgeschäft in Großbritannien, Irland und Deutschland.

Mit der Übernahme von Reassure schwingt sich Phoenix zum größten Anbieter von Vorsorgelösungen in Großbritannien auf. Mit 14 Millionen Kunden und 350 Milliarden Assets under Management ist die Gruppe einer der ganz großen Player.

„Die Gruppe ist ein ganz großer Player“

Das war auch immer die Intention des ehemaligen CEO Clive Bannister, Europas größter Konsolidierer zu sein. Sobald man hierzulande aber dieses Wort hörte, war der Schrecken groß und schnell machte das Gerücht die Runde, Standard Life würde gekauft und abgewickelt. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall. Im Gegenteil: In der Wachstumsstrategie spielt das Open Business, also die Geschäftsbereiche, die Neugeschäft schreiben, eine sehr bedeutende Rolle.

Ich würde sehr gern auf das „Federn lassen“ zurückkommen. Wie stark war der Rückgang?

Nuschele: Wir hatten im Jahr 2019 einen Neugeschäftsrückgang von etwa 20 Prozent zu verkraften, der aber vor allem auf die Zurückhaltung in den ersten vier Monaten zurückzuführen ist. Im letzten Quartal haben wir gesehen, dass bei vielen Vertriebspartnern das Vertrauen zurückgekehrt ist und das Neugeschäft wieder deutlich angezogen hat.

„Wir liegen 50 Prozent über dem Vorjahr“

Dieser Trend hat sich auch im Jahr 2020 fortgesetzt. Im bisherigen Verlauf liegen wir 50 Prozent über dem Vorjahr. Auch wenn die Geschäftsbasis im Jahr 2019 relativ schwach und die Steigerung vergleichsweise einfacher war, ist dies in Corona-Zeiten ein großer Erfolg und wir haben ambitionierte Pläne.

Bis zum Jahr 2023 wollen wir das Neugeschäft verdoppeln. Dazu haben wir zuletzt bereits in neue Produkte, aber auch in neue Technik investiert.

Wie wirkt sich die Coronakrise auf den Vertrieb und Umsatz aus?

Nuschele: Wir kommen stabil durch die Krise. Das liegt zum einen daran, dass sich unsere Kapitalanlagen während der Krise sehr robust gezeigt haben. Es liegt aber auch daran, dass wir wieder deutlich mehr Geschäftspartner haben, die mit und für uns aktiv sind. Diejenigen, die im vergangenen Jahr zurückhaltend waren – aufgrund des Brexits immerhin rund 400 Makler – kommen Schritt für Schritt wieder zurück. Und das hilft uns jetzt, wieder zu alten Ergebnissen aufzuschließen und ist eine sehr wichtige Grundlage für unser weiteres Wachstum.

Sie sagten, dass Sie 50 Prozent über dem Vorjahr liegen. Trotz der Pandemie. Wie haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten Ihre Partner unterstützt? Und haben sich Vertriebswege verlagert?

Nuschele: Verlagert haben sich die Vertriebswege nicht, denn wir arbeiten in Deutschland und Österreich ausschließlich mit unabhängigen Maklern und Mehrfachagenten zusammen. Und die haben wir auf drei Ebenen unterstützt. Zum einen im Bestand.

Aktuell ist es schon so, dass es durch die Pandemie ein erhöhtes Aufkommen an Beitragsfreistellungen gab und gibt, weil Kunden im Moment nicht in der Lage sind, ihre Verträge zu bedienen. Vor dem Hintergrund haben wir die Rückforderungen für acht Monate gestundet. Und machen dies aktuell immer noch. Auf der anderen Seite bieten wir Kunden sehr flexible Lösungen wie Beitragsfreistellungen, Beitragspausen, Teilauszahlungen, wenn eine Finanzspritze benötigt wird.

Da ist bei uns vieles möglich, da wir doch flexibler sind als der Marktschnitt. Und damit können Berater auch ihren Bestandskunden flexibler zur Seite zu stehen. Auf der Vertriebsseite sind wir eine Partnerschaft mit Flexperto eingegangen, ein äußerst professionelles Online-Beratungstool für den digitalen Vertrieb. Die Lösung bietet unter anderem die Möglichkeit der elektronischen Unterschrift, die ein Partner in digitalen Zeiten ohnehin haben sollte.

Die Flexperto-Tools stellen wir unseren Partnern exklusiv zu sehr guten Konditionen zur Verfügung. In Zukunft nutzen wir Flexperto auch selbst, und werden unsere Maklerbetreuer mit dem gleichen Tool ausstatten, mit dem ihre Geschäftspartner arbeiten. Zudem haben wir alle Sales Consultants mit Webex Meeting Accounts ausgerüstet. Das heißt, sie können auch Meetings mit ihren Partnern in der virtuellen Welt abhalten.

„Der Einstieg in die Altersvorsorge ist aktuell herausfordernd“

Präsentationen oder Desktop-Sharing sind zudem ebenfalls problemlos möglich. Darüber hinaus haben wir unseren Partnern Ideen mit auf den Weg gegeben, wie man in solchen Zeiten digital für den Kunden da sein kann. Und wie man Altersvorsorge, Vermögensmanagement oder Vermögensorganisation in Pandemiezeiten sinnvoll angehen kann.

Stichwort Altersvorsorge: Wie schwierig ist aktuell die Beratung beim Thema?

Nuschele: Der Einstieg in die Altersvorsorge ist auf Kundenseite aktuell herausfordernd. Aber es gibt ja auch generelle Fragen, die Kunden derzeit bewegen: Ist das, was ich tue, im Moment genug? Oder: Wie komme ich durch die Krise?

Was muss ich möglicherweise anpassen, ergänzen oder ändern? Die Nachfrage nach unabhängiger Beratung war und ist hier sehr groß. Ich hatte damit gerechnet, dass das Geschäftsvolumen um die 20 bis 25 Prozent nachgeben würden. Mich hat es überrascht, dass sich das Geschäftsvolumen so positiv entwickelt hat.

Wir sehen aber, dass sich die Geschäftsstruktur ein wenig verändert hat. Uns erreicht relativ hochvolumiges Neugeschäft. Knapp 55 Prozent des Neugeschäfts sind Geldanlagen im Einmalbereich oder großvolumige Sparverträge. Vor allem Kunden im Akademikerbereich, aber auch Selbstständige sind bereit, jetzt das Thema Altersvorsorge anzugehen.

Vor dem Hintergrund: Wie haben Sie bei Standard Life Ihre Zielgruppe definiert?

Nuschele: Wir wollen mit unserem Produktangebot die Kunden ansprechen, die bereit sind, für einen längeren Zeitraum die Altersvorsorge oder Geldanlage in die Hand zu nehmen und sich dafür mit einem unabhängigen Berater zusammentun.

Dies können junge Kunden sein, die mit der Vorsorge starten, aber auch Kunden, die Lösungen für die zweite Vorsorgephase oder für die Ruhestandsplanung suchen. Im Bereich der Vorsorgesparer sind dies Kunden, die Vermögen aufbauen wollen, ohne auf Renditechancen zu verzichten.

Das machen wir mit der Produktlinie Maxxellence Invest. Eine reine Fondspolice, aber gut kombinierbar mit einer qualitativ hochwertigen Berufsunfähigkeitsversicherung. Zielgruppe sind junge Kunden, junge Akademiker, Studenten oder Berufseinsteiger. Es wird zwar immer noch Garantiegeschäft gemacht, aber wir sehen, dass reine Investmentlösungen durch die Berater immer häufiger beigemischt werden.

Spielen Investmentlösungen auch für die anderen Bereiche eine zentrale Rolle?

Nuschele: Ja. Als Alternative zum Depot oder Tagesgeldkonto, das ja keine Zinsen mehr abwirft, haben wir eine Produktlinie für ältere Geldanleger beziehungsweise die Generation 50 plus.

Es handelt sich hierbei um den Tarif Parkallee. Die Rentenversicherung, kommt sehr häufig in der Altersgruppe zwischen 40 bis 50 Jahren zum Einsatz. Als dritte Zielgruppe haben wir den Vermögensberater, der mit den Kunden über die Vermögensstrukturierung und die Ruhestandsplanung spricht. Hierfür wird das Konzept Weitblick genutzt.

Eine Lebensversicherung, die als Alternative zur Rentenversicherung gedacht ist, weil sich damit Auszahlungspläne gestalten lassen oder außertestamentarische Nachfolgeregelungen, Vererbungen oder auch Schenkungen bis hin zur Unternehmensnachfolge. Das sind komplexere Lösungen. Aber wenn es um derartige Vermögenswerte geht, werden die Lösungen nun mal diffiziler.

Das Gespräch führte Jörg Droste, Cash. Den 2. Teil des Interviews lesen Sie morgen auf Cash. Online.

Foto: Standard Life Deutschland

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