Private Altersvorsorge: „Wir müssen als Branche tatsächlich auch politische Arbeit leisten“

Standard Life bietet als Versicherer eine „investmentbasierte“ Rentenphase. Welche Erfahrung machen Sie?

Nuschele: In der Rentenphase legen wir tatsächlich sehr großen Wert drauf, auch in der Verwendungsphase noch investiert zu bleiben. Wir sehen, dass es immer mehr Beratungsqualität gerade auch in diesem Bereich gibt. Stichwort Ruhestandsplanung, Stichwort Financial Planner. Sie sind in der Lage, sich auch mit diesen Situationen auseinanderzusetzen. Wir haben unsere Produkte tatsächlich auch darauf ausgelegt. Nehmen wir die WeitBlick, die als Einmalbeitragsprodukt speziell auf die Vermögensstrukturierung im Alter ausgelegt wurde und damit eine sehr gute Lösung für die Finanz- und Ruhestandsplanung ist. Aber ja, es braucht eine qualifizierte Beratung, es braucht eine Auseinandersetzung mit Risiko-Renditeprofilen. Und man muss sich dann auch überlegen: Was brauche ich von meinem Angesparten, aus dem Teilverkauf, vom Vermögen für meinen Lebensunterhalt oder die Kreuzfahrt. Und was möchte ich für Erben und Schenken noch weitergeben? Das ist ein absolutes Bedarfsfeld und etwas, worauf wir uns auch spezialisiert haben.

Dirk Hotopp: „Die Menschen im letzten Lebensdrittel sind in einer schwierigen Situation, weil sich eine systemische Lücke aufgetan hat. Die versuchen wir zu schließen.“

Wir hatten eingangs über die Polykrise gesprochen. Mein Eindruck ist, dass das Thema der ethisch-ökologischen Kapitalanlagen derzeit eher nachrangig behandelt wird. Sehen Sie das auch so oder ist das nur unser subjektives Empfinden? 

Pollmer: Nein, das ist schon gar nicht so schlecht ausgedrückt. Wir sehen, dass die Nachfrage bei dem Thema in den letzten Monaten gedämpft worden ist.  Insgesamt ist sie aber wesentlich generalistischer, als es der Gesetzgeber mit seiner Umsetzung der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage gemeint hat. Ich glaube, eine Taxonomiequote und eine SFDR-Quote und dezidierte PAIs-Betrachtung übersteigen dann doch das aktuelle Interesse der Kundschaft an dem Thema. Dennoch wird es zukünftig an Bedeutung gewinnen. 

Langer: Wir hatten 2021 einen Nettomittelzufluss von 1,2 Milliarden Euro. 2022 war es rund ein Drittel davon. Das, was an der Regulierung gemacht wird, das geht natürlich an dem vorbei, was draußen der Kunde will, weil er es nicht versteht. Was ist ein PAI? Was ist eine SFDR-Quote? Was zeigt mir die Taxozahl? Der Kunde versteht es nicht. Und nicht alle Berater und Vermittler können es verständlich erklären. Insofern führt das zu Auswüchsen und Blüten, die regulatorisch geschaffen worden sind und keinem dienen. Ich weiß noch, als es 2004 losging mit MiFID I und was dann dem Kunden alles reportet und berichtet werden sollte. Wir wissen alle, was heute ein Kunde überreicht bekommt. Wollen wir das so leisten? Und will das ein Kunde? Dann kommen wir wieder zu dem Punkt: Im Endeffekt sucht der Kunde sich einen Berater, dem er vertrauen kann. Weil er mit dem, was er ausgehändigt bekommt, nicht mehr klarkommt, es hilft ihm nicht weiter.

Wir wissen aus Gesprächen mit der Versicherungswirtschaft, dass viele Vermittler sich des Themas eher unwillig annehmen. Was hören Sie von Ihren Partnern? 

Nuschele: Wir haben tatsächlich eine kleine Maklerbefragung zum Thema ESG-Investing durchgeführt und gefragt: In wie vielen Beratungsgesprächen findet das tatsächlich Eingang? Und hinter vorgehaltener Hand war die Range zwischen in einem von 10 bis hin zu in einem von 100. Es ist in der Breite definitiv noch nicht angekommen, und das ist sehr schade. Ich glaube, wir könnten da als Branche sehr viel mehr machen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir gerade auf der Anbieterseite noch mehr tun können, um es unseren Partnerinnen und Partnern da draußen leichter zu machen, diese regulatorischen Hürden zu nehmen. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Für mich ist ein wesentlicher Aspekt, dass sich die Branche im Bereich der Nachhaltigkeit professionell positioniert. Ich finde es schade, dass wir noch nicht weiter sind und dass die Trends, die ich im Moment sehe, kaum widerspiegeln. Ich würde da gerne mehr für tun.

Wesel: Ich glaube, die regulatorischen Anforderungen haben diesen Enthusiasmus gebremst. Wir haben das deutlich festgestellt, denn am 2. August 2022 war Stichtag, ab dem Vermittler die Nachhaltigkeitspräferenzen beim Kunden erfragen muss. Wir haben diesen Termin frühzeitig gesehen und sind im Frühjahr 2022 mit unserer ökologischen Produktlinie NEXT an den Markt gegangen. Wir hatten eine sehr hohe Nachfrage, als wir live gegangen sind und ein sehr hohes Interesse seitens der Vermittlerschaft. Seitdem hat sich sehr viel auf regulatorischer Ebene getan. Und das hat dazu geführt, dass das Thema Nachhaltigkeit auf einmal sehr komplex wurde. Man sieht das in den Fragestrecken, in den Antragsberatungsstrecken. Wir versuchen das für Kunden und Berater so einfach wie möglich darzustellen. Wenn man dort sehr sauber beraten will, muss man sich auch mit dem Thema auseinandersetzen. Was unser Neugeschäft betrifft, lässt sich rund jeder zehnte Antrag im Altersvorsorgebereich der nachhaltigen Produktlinie NEXT zuordnen. Gerade in der bAV spielt es eine große Rolle. Wir haben auch festgestellt, dass gerade die größeren bAV-Vermittler dieses Thema wirklich nach vorne treiben. Weil auch auf der Arbeitgeberseite angekommen ist, dass die bAV auch auf das Nachhaltigkeitsreporting einzahlt. In der freien Fondsauswahl stellen wir fest, dass wir aktuell im Neugeschäft vom Volumen her etwa ein Drittel Artikel-8- und Artikel-9-Fonds haben. Da, wo es für Kunden und Vermittler relativ überschaubar ist, sieht man deutlich, dass der Wunsch nach Nachhaltigkeit klar gegeben ist.

Herr Pollmer, wie sieht es bei Ihnen aus? 

Pollmer: Wir haben uns im Angesicht dieser neuen Anforderungen aber auch aus ganz eigenem Antrieb bei Investitionsentscheidungen im klassischen Kapitalanlagesicherungsvermögen eine Nachhaltigkeitsstrategie verordnet. Die ist inzwischen umgesetzt und funktioniert. Wir arbeiten mit einer gesunden Taktung auf eine Verbesserung unserer Nachhaltigkeitsaspekte oder -ergebnisse in der Kapitalanlage hin. Es gibt Vorgaben für unsere Kapitalanlagemanager bei neuen Investitionsentscheidungen. Was mache ich mit dem Kapital? Welche Einflussfaktoren haben Umweltaspekte auf die Kapitalanlage? Stichworte: Naturkatastrophen, Ernteausfall, Trockenheit. Insofern ist es unter Risikoaspekten wichtig und geboten, dass man die Umweltaspekte bei der Bewertung von Kapitalanlageentscheidungen einbezieht. Diesbezüglich gilt: Was die Kunden bei uns im klassischen Sicherungsvermögen anlegen, berücksichtigt grundsätzlich Nachhaltigkeitsfaktoren. Bei fondsgebundenen Produkten findet viel über die Fondsauswahl statt. Als Intermediär sind wir in der Pflicht, die Informationen, die die Fondsgesellschaften zur Verfügung stellen, weiterzureichen, auswertbar, filterbar, selektierbar zu machen und so aufzubereiten, dass Kunde und Vermittler dies auch verstehen. Und auch bei uns wächst die Nachfrage. Insbesondere bei der jungen Kundschaft ist das ein Kaufentscheidungskriterium. Wenn die unter 30-Jährigen die Wahl haben zwischen einem nicht nachhaltigen und einem nachhaltigen Produkt zu entscheiden, werden die sich immer für das nachhaltige Produkt entscheiden. Das ist eine Mentalitätsfrage, denn unsere Zukunft steht auf dem Spiel. Deswegen glauben wir auch, dass der Trend sich fortsetzen wird. Vorhin wurde die Vermittleraffinität zu dem Thema infrage gestellt. In der Tat sind die meisten nicht mehr ganz jung. Es gibt da aber tatsächlich auch Vertriebe, die es schaffen, immer noch viele junge Leute für unsere Branche zu begeistern und auszubilden. Und dort sehen wir eine sehr hohe Affinität zu diesem Thema und eine entsprechende Ausrichtung. 

Marcus Langer: „Der Kunde sucht sich den Berater, dem er vertrauen kann. Weil er mit dem, was er ausgehändigt bekommt, nicht mehr klarkommt.“ 

Herr Hotopp, welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei Ihnen?

Hotopp: Es ist ein Treiber auch für unser Modell. Der Immobilienbesitzer ist gezwungen, aus verschiedensten Themen heraus seine Immobilie in die ökologische Wende zu bringen. Rund die Hälfte der Menschen, die einen Teilkauf mit uns umsetzen, investieren einen Teil der Liquidität wieder in ihre Immobilie. Wir fördern mit unserem Konstrukt ökologische Immobilieninvestments oder die Modernisierung – nicht Instandhaltung – bewusst und gerne. In unserem Teilkaufprodukt geht das nach drei Jahren Wartezeit. Das Thema die Immobilie ökologisch auszurichten, betrifft einen viel, viel größeren Teil der Investitionen, die aus der Liquidität, die wir zur Verfügung stellen, dann von den Kunden getätigt werden. Deutschlandweit gibt es vier große Anbieter, die den Teilkauf umsetzen. Egal, mit wem ich da spreche: Wir überlegen alle, ob wir nicht Kooperationen eingehen – mit Photovoltaik- oder Wärmepumpenherstellern. Damit wir unseren Kunden gewisse Rabatte oder Vorteilsprogramme einräumen können. Weil wir wissen, dass sie das Kapital, welches wir zur Verfügung stellen, in solche Bereiche investieren. Das ist für uns Zukunftsfähigkeit.

Ich möchte diese Gesprächsrunde mit einem Ausblick beenden: Was erwarten Sie von diesem Jahr. In Bezug auf die Altersvorsorge, aber auch auf den Markt allgemein?

Langer: Was die Altersvorsorge betrifft, denke ich, dass die Berater erkennen, dass der Bedarf weiter da ist und noch größer geworden ist. Nicht zuletzt aufgrund der Inflation. Und auch, wenn es vielleicht bei den Kunden finanziell etwas enger wird: Ich glaube, es wird weiterhin Geschäft geschrieben werden. Die Beratung wird gesucht und gebraucht werden.

Nuschele: Ich erwarte eine sehr arbeitsintensive zweite Jahreshälfte. Denn Altersvorsorgeberatung ist wichtiger denn je. Wir haben die Inflation zurück, und wir müssen dagegen ankämpfen. Ich erwarte auf der anderen Seite viele Diskussionen rund um das Thema Vergütung, um das Thema Kosten, um das Thema Regulatorik. Da dürfen wir uns drauf einstellen, dass wir die nächsten zwei, drei Jahre sehr intensiv damit beschäftigt sein werden, unser System zu verteidigen und zu demonstrieren, dass wir effizient, kostengünstig, transparent und fair sind.

Wesel: Aktuell sieht man es schon jetzt, dass zu wenig Altersvorsorge in Deutschland betrieben wird. Von daher ist der Markt da. Da wollen wir als Volkswohl Bund auch da sein, und da richten wir auch unsere Prozesse darauf aus. Schlanker, schneller, kundenorientierter. Im Moment strukturieren wir sehr stark im Bereich der bAV um. Ziel ist es, die Prozesse deutlich einfacher zu machen. Ich glaube, da sehen wir auch als Versicherer unsere Chance, uns hier noch viel digitaler aufzustellen, um es dem Vermittler auch für die Beratungssituation beim Kunden viel einfacher zu machen. Ich denke, gute, kostengünstige, flexible Produkte sind erfolgreich. Da haben wir als Volkswohl Bund in der Vergangenheit daran gearbeitet, das werden wir auch in diesem Jahr tun.

Hotopp: Wir haben zum einen die Inflation, wir haben aber auch einen ungebrochenen Bedarf. Vielleicht ist der steigende Zins sogar ein Anreiz dafür, mehr zu tun. Aber bitte nicht nur mit Sicherheit in festverzinste Anlagen. Durch die Demografie gehen viel zu viele Berater verloren. Dabei sind wir uns alle in dieser Runde einig: Gute Beratung, fachlich fundiert ist wichtig. Das schwindende HR-Kapital ist meine größte Sorge. Eine moderne, digitale und hybride Beratung braucht eine neue Generation von Vermittlern und Beratern. Wir müssen es schaffen, dieses Berufsbild mit der Attraktivität und Perspektive für junge Leute auszustatten, sodass wir ordentlichen Zulauf haben. Was nützt uns ein guter Markt, wenn wir keinen haben, der diesen Markt dann auch mit unseren Produkten bedient?

Pollmer: Wir wollen uns als valider und seriöser Partner für unsere Kunden und Vermittler in der Altersvorsorge und für die biometrische Absicherung im Privat- und Firmenkundengeschäft weiter etablieren. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass wir als Branche sowohl der deutschen als auch der europäischen Politik gegenüber zeigen, dass wir das Vertrauen verdienen und als relevanter Marktteilnehmer für die Zukunftsvorsorge der Menschen eine gewichtige Rolle spielen.

Das Gespräch führten Cash. Chefredakteur Frank Milewski und Ressortleiter Versicherungen Jörg Droste

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