Wie beurteilen Sie die Überlegungen des Gesetzgebers für eine Versicherungspflicht im Bereich Wohngebäudeabsicherung?
Schmidt-Spaniol: Betrachten wir die Geschehnisse im Ahrtal, lässt sich feststellen, dass nicht viele Elementarschäden versichert waren. Der Bedarf ist also da, wurde aber offensichtlich nicht erkannt. Es muss ein Hinweissystem geben, das deutlich macht, ob eine Region besonders gefährdet ist. Es ist durchaus fraglich, ob die Einführung einer Versicherungspflicht zielführend ist. Schließlich gibt es nach wie vor den Kollektivgedanken und es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine Pflicht zur Versicherung auf die Prämien und den Markt hätte.
Schumacher: Ich würde dem beipflichten und spreche mich klar gegen eine Pflichtversicherung aus, auch wenn es zunächst nach ei-ner Wohlfühllösung aussieht. Zielführender ist für mich, dass sich der Versicherungsnehmer im Klaren darüber sein muss, welchen Risiken er ausgesetzt ist und wie wichtig eine Absicherung gegen Elementargefahren ist. Der Vermittler ist hier in der Pflicht, die Kunden entsprechend zu beraten. Vor zwei, drei Jahren hatten wir 70 Prozent Elementarabdeckung im Bestand. Seit dem letzten Jahr ist diese Quote auf über 80 Prozent gestiegen. Seit fast zwei Jahren bieten wir bundesweit sogar eine Risi-kodeckung für überschwemmungsgefährdete Immobilien in ZÜRS 4 und ZÜRS 3 an. Das sind natürlich Prämien, die nicht auf dem Durchschnittsniveau der Wohngebäudeversicherung liegen. Für einen ZÜRS-4-Vertrag beispiels-weise kann der Jahresbeitrag bei 1.500 Euro liegen, allerdings mit einer Selbstbeteiligung von 10.000 oder 15.000 Euro. Das mag auf den ersten Blick viel Geld sein. Es relativiert sich aber, wenn man bedenkt, dass das Haus einen Wert von 200.000 oder 300.000 Euro hat.
Neuhalfen: ZÜRS-3- und ZÜRS-4-Risiken zu versichern, ist eher eine akademische Diskussion und führt in eine falsche Richtung. Denn es betrifft nur knapp zwei Prozent aller Objekte in Deutschland. Ob man die versichert oder nicht, ist für den Betroffenen ganz bestimmt ein Argument, allerdings nicht für das Kollektiv. Ich halte es für viel wichtiger, ZÜRS 1 und ZÜRS 2 zu versichern. Das sind über 90 Prozent aller Objekte hierzulande. Die müssen sich versichern können. Und sie können es schon seit Jahren. Es ist aber eine individuelle Abwägung gewesen, und wir haben in Deutschland Vertragsfreiheit. Und das sollte bei der Absicherung von Wohngebäuden auch so bleiben. Deshalb halte auch ich nichts von einer Zwangsversicherung, denn sie produziert nur Probleme. Zum einen ist es nur eine Scheinsicherheit. Denn die weiteren Fragen lauten doch: Wer zahlt es? Werden die Preise künstlich gedeckelt – wer zahlt dann die Differenz? Gibt es ein Staatszuschuss? Das sind wieder Steuergelder. Oder muss dann sozialisiert werden, sprich die ZÜRS-1-Risiken kosten plötzlich doppelt so viel, damit wir die ZÜRS-3-Risiken billiger machen können als nötig? Das sind grundsätzliche Fragen, über die niemand diskutiert. Wichtig ist aus meiner Sicht deutlich darauf hinzuweisen, dass es bezahlbaren Versicherungsschutz gibt, auch wenn er für eine höhere Absicherung zuweilen etwas mehr kostet.
Widmen wir uns nun einmal einem weiteren Wachstumssegment in der Sachversicherung, dem Rechtsschutz. Welchen Stellenwert hat das Thema bei Ihnen?
Schmidt-Spaniol: Bei uns ist die Sparte sehr stark. Wir haben einen großen Rechtsschutzabsatz, auch mit Blick auf unser Gesamtportfolio. Deshalb hat uns auch das Thema Diesel-Skandal in den letzten Jahren sehr beschäftigt. Rechtsschutzversicherungen sind für unsere Kundinnen und Kunden ein sehr wichtiges Produkt, das stellen wir beinahe täglich fest, denn schlussendlich schützt die Rechtsschutzversicherung sie vor hohen Kosten. Für uns ist die Herausforderung, das Kostenverhältnis dabei auszubalancieren: Zum einen können Versicherte sich vor Kosten schützen wollen, die aus einem persönlichen Streitgusto entstehen. Solche Versicherungsfälle sind oft kostspielig für uns und deshalb haben wir Mittel und Wege, um sie ein Stück weit zu steuern und Kosten des Kollektivs zu minimieren. Auf der anderen Seite kann es auch sein, dass Streit aus anderer Richtung aufkommt und unsere Kundinnen und Kunden Unterstützung benötigen, ihre Rechtsposition durchzusetzen. Ge-nau dann müssen wir auch für sie einstehen und sie bestmöglich unterstützen. Auch hier setzen wir ganz bestimmte Mittel ein, um die Kosten für Versicherte und Kollektiv aktiv zu managen. Das ist eine der Challenges, vor denen der Rechtsschutzvertrieb steht, aber auch in Zukunft wird die Rechtsschutzversicherung eine starke Säule für Adam Riese sein.
Schumacher: Auch wir sind relativ stark im Rechtsschutz engagiert. Von daher ist das auch bei uns ein relativ großes Feld. Was den Stellenwert dieses Produktes angeht: Ich würde gerade als Assekuradeur unterscheiden zwischen den Sichtweisen, die einerseits der Risikoträger und andererseits der Vermittler auf das Thema Rechtsschutz hat. Für einen Versicherungsanbieter wie uns ist es kein einfaches Thema, weil die Sparte generell unter starkem finanziellem Druck im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Aufwänden und Erlösen steht. Für Vermittler oder Kunden auf der anderen Seite stellt Rechtsschutz keine existenzielle Absicherung dar. Deshalb ist sie auch auf einer anderen Stufe als beispielsweise die Haftpflicht- oder eine Wohngebäudeversicherung zu sehen. Sie hat aber trotzdem ihre klare Berechtigung: Denn sie ist ja nicht nur nützlich, wenn man in einem größeren Streitfall Recht hat und das durchsetzen will. Sondern sie macht sich auch dann bezahlt, wenn jemand anderes einen juristisch belangt. In diesem Fall stellt eine Rechtsschutzversicherung zumindest sicher, dass neben dem Ärger nicht zusätzlich noch immense Kosten entstehen.
Schmidt-Spaniol: Der Diesel-Skandal, für den wir relativ große Reserven gebildet haben, wird uns noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Wir haben das in dieser Wucht tatsächlich nicht kommen sehen, denn die Rechtsschutzversicherung war noch eine sehr junge Sparte, als wir sie 2017 an den Markt gebracht haben. Dementspre-chend ist auch der Bestand im Verhältnis zum Gesamtportfolio sehr groß. Deshalb beschäftigt uns das in der Schadensbilanz durchaus. Prozessual gesehen ist auch die Regulierung komplex, denn die Konsortialklagen fordern uns als Digitalversicherer ganz anders heraus als herkömmliche Fälle, weil vieles manuell gesteuert wird. Das verursacht natürlich auch einen Kostendruck.
Stichwort: Mediation. Welche Bedeutung hat die Streitschichtung in der Rechtschutzversicherung?
Schmidt-Spaniol: Ich bin ein großer Fan davon, nicht zuletzt weil wir sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben. Hierbei ist ergänzend das Thema Anwaltshotline zu erwähnen, welche im hohen Maße zur unkomplizierten Konfliktlösung beiträgt. Wir greifen dabei auf die Württembergische Versicherung zurück, die Juristinnen und Juristen beschäftigt. Diese sind darauf fokussiert, durch ein Kundengespräch und die damit einhergehende direkte Betreuung der Kundinnen und Kunden in Rechtsfragen auf die Streitenden einzuwirken. Damit kann häufig ein kostenintensiver Gerichtsprozess vermieden werden. Das kommt dann nicht nur dem oder der Einzelnen zugute, sondern auch dem Versicherungskollektiv. Unsere sehr online-affine Kundenklientel ist nicht abgeneigt, eher telefonische Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen, bevor sie persönlich beim Anwalt sitzt. Deshalb glaube ich an das Konzept und bin auch der Meinung, dass es große Chancen birgt.
Schumacher: Nach unseren Erfahrungen gibt es zwei Aspekte. Die Anwaltshotline ist definitiv eine sehr positive Sache. Es ist immer sinnvoll, sich im Vorfeld eines möglichen Rechtsstreits beraten zu lassen, ob sich dieser lohnt oder nicht und wie man sich verhalten sollte. Das Thema Mediation begeistert mich ebenfalls, aber es wird von den Kunden leider nicht so angenommen. Es liegt vermutlich daran, dass eine versicherte Person, die mit dem Arbeitgeber oder Nachbarn ein gewisses Streit-Level erreicht hat, keine engagierten Diskussionen über den Gartenzaun oder im Büro des Chefs mehr führen, sondern das Ganze auf jeden Fall vor Gericht zu Ende bringen will.
Vor welchen Herausforderungen steht die Rechtschutzsparte?
Schumacher: Das Segment muss beim Versicherten Anreize schaffen, Dinge anders zu regeln als ausschließlich über den Anwalt. Im Mittelpunkt sollte die Prozessvermeidung stehen. Dabei ist es aus meiner Sicht eher zweitrangig, ob das vor allem durch eine Anpassung der Selbstbeteiligung oder den Ausbau einer Anwaltshotline erreicht wird.
Schmidt-Spaniol: Da kann ich mich nur anschließen. Das Thema zu steuern und im Prinzip den Streitfall zu verhindern und dabei nah an der Kundin oder dem Kunden zu sein, ist die künftige Challenge in der Rechtschutzversicherung.
Kommen wir einmal zum Megatrend Nachhaltigkeit, der mittlerweile nahezu alle Finanzsektoren betrifft und fordert. Welchen Stellenwert hat das Thema für die Sachsparte?
Schumacher: Im Bereich Wohngebäudeversicherung haben wir vor zwei Jahren als erster Anbieter Nachhaltigkeitsbausteine in die Tarife eingebracht. Man kann darüber streiten, was eine nachhaltige Wohngebäudeversicherung ist, da es weder eine DIN-Norm noch eine andere standardisierte Definition gibt. Aber wir erstatten beispielsweise geschädigten Eigentümern zusätzlich bis zu 50.000 Euro, wenn sie bei der Instandsetzung nachhaltige Materialien verwenden, also beispielsweise Holz statt Kunststoff. Der Aspekt „höhere Erstattung bei Verwendung nachhaltiger Materialien“ unterstützt den Nachhaltigkeitsgedanken. Aber natürlich stellt sich dabei immer die Frage, ob Kunden bereit sind, für dieses Versicherungsprodukt mehr Geld auszugeben.Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass sie das offenbar eigentlich nicht sind. Zumindest 80 Prozent sagen, es darf nicht mehr kosten, nicht zuletzt, weil Standards fehlen.
Neuhalfen: Eine DIN-Norm wäre in diesem Zusammenhang vermutlich sehr vorteilhaft. Das Problem in Deutschland ist jedoch, das dann wahrscheinlich wieder überreguliert wird, nach dem Motto, definiere Nachhaltigkeit, für welches Produkt, in welchem Umfeld. Das stelle ich mir sehr kompliziert vor. Was Uwe Schumacher sagt, kann ich nur in voller Form bestätigen. Energetische Sanierungsbausteine werden in die Produkte Einzug halten und selbstverständlicher werden. Problematisch ist sicher, dass es mal wieder nichts kosten darf, fünf bis zehn Prozent scheinen eine Schallmauer zu sein, die der Kunde bei dem Thema nicht durchbrechen will. Ich bin mal gespannt. Ich behaupte, die Hälfte der Kunden sagt: Nein, bei mir passiert sowieso nichts, und dann nehme ich lieber doch den preiswerteren Tarif.
Schumacher: Das sagt die ungestützte Umfrage. Was das im konkreten Fall bedeutet, werden wir sehen. Nachhaltigkeit ist jedenfalls eine Entwicklung, die nicht umkehrbar ist. Und es ist gut, dass alle Marktteilnehmer dabei sind. Andernfalls wäre das nachteilig für die Wettbewerbsfähigkeit. Schließlich kostet die Nachhaltigkeit tatsächlich mehr als das bei herkömmlichen Tarifen der Fall wäre.
Schmidt-Spaniol: Aus meiner Sicht fußt das Thema auf drei Säulen. Da sind zunächst die Prozesse, die Nachhaltigkeit sehr stark unterstützen, dann der digitale Prozess beim Thema Produkte und letzten Endes das Thema „Wie agiert das Unternehmen?“. Das Produktthema ist ein großer Schlüssel, da wird sich viel tun. Ich teile nur bedingt die Meinung, dass Produkte zwingend teurer sein müssen. Ich glaube, die Frage ist, welche Leistungen der Versicherer in die Produkte einbauen kann, ohne – und das wird die Kür sein – massive Preissteigerungen und dennoch mit einem Mehrwert für die Kundinnen und Kunden. Versicherer können in Zukunft auch eine Art Ökobonus anbieten, um einen neuen, auf Nachhaltigkeit fokussierten Kundenkreis anzusprechen. Schlussendlich müssen natürlich auch die Maklerinnen und Makler das Thema akzeptieren. Diese Zielgruppe muss von uns noch sehr viel stärker in den Fokus genommen und überzeugt werden. Wir haben registriert, dass sie das Thema Nachhaltigkeit, seit wir zertifiziert sind, bei uns sehr stark nachfragen. Und auch umgekehrt ziehen wir Maklerinnen und Makler zu Rate, wenn es um die Ausgestaltung von Produkten geht und darum, Nachhaltigkeit für die Kundinnen und Kunden erlebbar zu machen.