VHV-Vertriebsvorstand Angelo O. Rohlfs im Interview: „Wir sind unserer Gründungs-DNA treu geblieben“

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Dr. Angelo O. Rohlfs, VHV: „Wir wollen, dass der Makler seine Kompetenz einbringt und die Kunden individuell berät und betreut.“

Die VHV Allgemeine Versicherung ist Bauspezialversicherer und Marktführer in diesem Segment. Cash. traf sich mit VHV Allgemeine Vertriebsvorstand Dr. Angelo O. Rohlfs in Hamburg. Ein Gespräch über die Folgen von Inflation und Zinssteigerungen, Leuchtturmprojekte und die Herausforderungen eines nachhaltigen Umbaus für die Gewerbeversicherung.

Herr Dr. Rohlfs, die VHV Allgemeine Versicherung gilt im Bereich der Bauversicherungen als Marktführer. Woher rührt die Stärke in diesem Segment?
Rohlfs: Das liegt schlicht an unserer Herkunft. Die VHV wurde 1919 von einem Architekten und sechs Bauunternehmern als Verein auf Gegenseitigkeit in Hannover gegründet. Das Thema Bauen ist in unserer DNA. Man kann sagen, das wurde uns in die Wiege gelegt. Dieser Gründungs-DNA sind wir bis heute treu geblieben.

Aktuell schlägt die Baubranche Alarm, die Zahl der Baugenehmigungen ist infolge des Zinsanstiegs und deutlich steigender Kosten zurückgegangen. Wie wirken sich die Entwicklungen aus?
Rohlfs: Als Bauspezialversicherer und führender Anbieter von Vermögenschaden-Haftpflichtversicherungen für Architekten haben wir einen guten Überblick über die Marktentwicklung. Hier müssen wir differenzieren. Der private Wohnungsbau ist massiv von der Zinssituation betroffen. Wer bis vor kurzem seine Immobilie noch mit einem Zinssatz von 0,99 Prozent finanzieren konnte, muss nun mit einem Zinssatz von bis zu 4,16 Prozent kalkulieren. Damit ist eine Immobilie im privaten Bereich kaum noch finanzierbar. Der zweite Effekt ist, dass die Baupreise durch die Inflation nochmals gestiegen sind. Wir hatten bereits in der Coronapandemie durch die Störungen der Lieferketten eine Baupreissteigerung. Jetzt gibt es einen weiteren Anstieg durch die Inflation. Für die großen Wohnimmobilieninvestoren bedeutet die Finanzierung zu höheren Kosten, dass sie am Ende einen höheren Mietertrag benötigen. Auch dort haben wir das Problem, dass viele potenzielle Mieter dies nicht zahlen können oder wollen. Somit werden Immobilienprojekte nicht mehr realisiert. Die Finanzierungskosten spielen auch im gewerblichen Bereich eine Rolle. Und die großen Projektentwickler – ob Hotels oder Gewerbeareale – haben ebenfalls mit dem Anstieg zu kämpfen. Diese Entwickler sind überwiegend noch in der Lage, die Finanzierungskosten durchzureichen, weil Großmieter die höheren Kosten zahlen. Aber auch dort stellen wir fest, dass manche Projekte schlichtweg eingestellt werden. Im Infrastrukturbereich läuft es hingegen momentan gut. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Dies gilt für nahezu alle Bereiche, die von der Energie-, Mobilitäts- und Klimawende betroffen sind. Dabei kommt der überwiegende Impuls aus dem Bestand, der den neuen ökologischen Richtlinien Rechnung tragen und entsprechend modernisiert werden muss. Darüber hinaus wird natürlich, beispielsweise im Mobilitätsbereich wie bei der Ladeinfrastruktur, auch neu gebaut.

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Baugewerbe ist in diesem Jahr deutlich gestiegen. Wie äußern sich die Folgen?
Rohlfs: Es sind unsere Kunden, die insolvent werden. Das kann ein Fertighaushersteller sein. Dahinter stehen aber noch die Gewerke, die mit ihm zusammenarbeiten. Den Malern, Fliesenlegern, Sanitärbetrieben fehlen die Folgeaufträge. Man kann nur hoffen, dass die Firmen Aufträge aus anderen Bereichen erhalten. Die Frage ist, wie schnell die Firmen in der Lage sind, umzuschalten. Der Privatkunde wird im Zweifel aufgrund der hohen Kosten das Haus oder die Wohnung nicht renovieren. Das heißt: Er ist betroffen, unsere Kundschaft ist betroffen und damit sind auch wir betroffen. Hinzu kommt: Wir sind ein großer Bürgschafts- und Kautionsversicherer in der Bauwirtschaft. Wenn Unternehmen in die Insolvenz gehen und Sie den SHK-Betrieb beauftragt hatten, eine neue Gastherme einzubauen, dann wenden Sie sich als Kunde an den Bürgschaftsversicherer, die VHV. Ist unser Kunde insolvent, bekommen wir als Versicherer die Beiträge der Versicherungspolice nicht. Und weil die Mängel nicht beseitigt werden, kommt der Kunde mit Forderungen auf uns zu. Wir sehen, dass die Insolvenzen derzeit zwar steigen, aber in einem deutlich beherrschbaren Umfang.
Sie versichern öffentliche Bauvorhaben: Deren Planungen und die Umsetzung dauern Jahre, verbunden mit enormen Kostensteigerungen. So sollte die Elbphilharmonie ursprünglich 77 Millionen Euro kosten.

Am Ende waren es 866 Millionen. Wie herausfordernd ist die Absicherung solcher Projekte?
Rohlfs: In der Regel folgt die Prämie den Baukosten. Steigen die Kosten, steigt auch die Prämie. Als Versicherer tragen wir die Risiken der am Bau Beteiligten. Und hier stellt sich die Frage, ob das Risiko komplexer wird und wir in der Lage sind, rechtzeitig mit den am Bau Beteiligten – den Planern und den Ausführenden – diese Risikosituation zu erkennen und in den Griff zu bekommen.

Die Elbphilharmonie können wir von unserem Verlag aus sehen, sie ist ein Wahrzeichen von Hamburg. Wo lagen für die VHV Allgemeine Versicherung bei der Projektabsicherung die Herausforderungen?
Rohlfs: Die Elbphilharmonie war in der Tat für uns als Versicherer spannend, weil es zum einen ein Projekt mit vielen Eigenarten und Neuerungen war – was Projekte dieser Größenordnung so mit sich bringen – und es zum anderen im laufenden Projekt Planungsänderungen gab. Hinzu kam die Mischung aus Risiko, Zeit und Kosten. Einige Materialien, die dort verwendet wurden, wurden erstmalig verbaut. Die Scheiben waren beispielsweise eine herausragende Ingenieurleistung, sie wurden individuell in der Schweiz angefertigt. Erneute Herstellungs- und Transportkosten sind bei dieser Art von Schäden immer sehr hochpreisig. Zudem sollte die freistehende Fassade des Kaiserspeichers erhalten werden. Eine solche Deckung ist eher selten enthalten, zumal die Gründungsmaßnahmen mit schweren Baugeräten innerhalb dieses Baukörpers erschwerend hinzukamen. Als Versicherer, der das Risiko trägt, stellen sich ganz andere Fragen. Was ist das für ein Risiko? Und was sind die Risiken, die hieraus folgen können? Das ist eine Herausforderung. Wenn wir das Risiko eingeschätzt haben, erfolgt daraus das Pricing. Die Elbphilharmonie war für alle Beteiligten Pionierarbeit.

Was sind die aktuellen Leuchtturmprojekte, die Sie als Versicherer begleiten?
Rohlfs: Zum einen der 245 Meter hohe Elb-Tower, ein weiteres zukünftiges Wahrzeichen von Hamburg. Zum anderen begleiten wir als Versicherer den Bau der U 5 in Hamburg sowie der U-Bahn in Wien. Wir versichern auch den Bau von Deutschlands längster freispannender Schrägseilbrücke, der A40-Rheinbrücke bei Duisburg, und einen Bauabschnitt einer Formel-Eins-Rennstrecke. Wir ermöglichen auch große städtebauliche Projekte, weil wir als Versicherer bereit sind, das Risiko zu tragen.

Die Baubranche wird nachhaltiger: Wärmepumpen, Solaranlagen, Geothermie, Ladesäulen. Welche Folgen hat das für sie als Versicherer?
Rohlfs: Wir haben festgestellt, dass wir viele der Themen bereits seit Jahren im Produktangebot haben. Fotovoltaikanlagen und Wärmepumpen versichern wir seit langem. Die Entwicklung, die draußen stattfindet, trifft bei uns auf ein gefülltes Produktregal, weil wir auf Themen reagiert haben, mit denen sich die Bauwirtschaft bereits auseinandergesetzt hat. Unsere eigentliche Herausforderung ist, die Kundenanforderung und unsere bestehende Produktkompetenz zusammenzubringen. Eine Wallbox oder Ladesäule ist schlussendlich nichts anderes als ein Starkstromentnahmepunkt. Das ist in der Bauwirtschaft nichts Neues.

Nachhaltige Versicherungsprodukte allerdings schon. Das Angebot ist derzeit noch alles andere als durchdringend.
Rohlfs: Das ist in der Tat herausfordernd. Wir stellen uns die Frage, wie weit sich Nachhaltigkeit, die nun auch regulatorisch in der Branche gilt, in der Produktgestaltung umsetzen lässt. Es ist ein Spagat. Die VHV ist Bauspezialversicherer und versichert Bauvorhaben, bei denen Baustoffe zum Einsatz kommen, die noch konventionell, also nicht CO2-Neutral, hergestellt werden. Ich spreche hier etwa von Zement, Aluminium, Glas. Wir sind aber auch ein großer Kfz-Versicherer, der Millionen herkömmliche Autos versichert hat. Und dort stellt sich die Frage: Ist es bereits nachhaltig genug, wenn das Auto in einer CO2-neutral zertifizierten Lackiererei repariert wird? Oder muss unser Produkt durchgängig nachhaltig sein? Man kann vor dem Hintergrund durchaus fragen, ob man Versicherungskunden künftig nur noch in zertifizierte Werkstätten lotst. Wir können nur in der neuen Elektro- oder Wasserstoffwelt ankommen, wenn wir alle, die in der alten Welt sind, auf dem Weg dahin begleiten und ihnen Versicherungsschutz bieten. Und versuchen, die Produkte, die dazu gehören, den nachhaltigen Anforderungen entsprechend zu fördern.

Sie sind Vertriebsvorstand eines großen Sachversicherers. Wir sehen gerade in dem Segment einen massiven Digitalisierungsschub. Wie weit lässt sich die Sparte digitalisieren?
Rohlfs: Wenn wir auf die demografische Entwicklung schauen, sieht man, dass immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Wenn die Menge an Arbeit nicht abnimmt, sollte man durchaus überlegen, wie man dies mit den zur Verfügung stehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der technischen Unterstützung stemmen kann. Außerdem richten wir uns an den Kundenbedürfnissen aus und digitalisieren entsprechend die Services und Prozesse.

Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie klar auf den hybriden Ansatz setzen?
Rohlfs: Unbedingt. Wir sind Maklerversicherer und bauen ganz stark auf den Menschen und die menschliche Beratung. Wir wollen, dass der Makler seine Kompetenz einbringt und den Kunden individuell berät und betreut. Und wir wollen den Makler in die Lage versetzen, das dauerhaft zu tun.

Wieviel Mensch braucht es bei der Bauspezialversicherung?
Rohlfs: Die Frage ist, was ist standardisierbar und wo beginnt das Individualgeschäft? Wir haben eine Versicherung namens HHD im Angebot, das steht für Handel, Handwerk, Dienstleistung. Also eine Haftpflicht für kleinstes und mittleres Gewerbegeschäft. Dafür braucht es keine Risikobegehung vor Ort. Gleichzeitig kann der Kunde bei uns natürlich auch mit einem Menschen sprechen, wenn er das möchte. Bei allen Bauvorhaben, die vom Standardgeschäft abweichen, wie dem Elb-Tower, der Elbphilharmonie, der U-Bahn, werden Sie immer Menschen brauchen, weil es sich um komplexen Hoch- und Tiefbau handelt.

Abschließende Frage: Das internationale Geschäft spielt für die VHV Gruppe eine wichtigere Rolle. Wie wollen Sie sich hier positionieren?
Rohlfs: Wir sind bereits seit 1972 in Österreich mit einer Tochtergesellschaft im Markt. 2020 haben wir unsere Internationalisierungsstrategie gestartet, um im Kernbereich Bauwirtschaft unseren Kunden zu folgen. Denn diese bauen auch grenzüberschreitend. Ich würde den Ansatz gerne mit dem Sternschritt eines Basketballers vergleichen. Mit einem Fuß stehen wir im Heimatmarkt Deutschland. Mit dem anderen gehen wir in die anderen angrenzenden europäischen Länder. Aktuell sind wir in Österreich, Italien, der Türkei und Frankreich aktiv. Weitere Länder folgen.


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