„Wir werden in 25 Jahren an der 50-Prozent-Marke kratzen“

Vertriebsvorstand Olaf Engemann (li.) und Ulrich Mitzlaff, Vorstandsvorsitzender der SDK.
Foto: Thomas Bernhardt
Vertriebsvorstand Olaf Engemann und SDK-Vorstandsvorsitzender Ulrich Mitzlaff.

Welche Rolle PKV und bKV bei der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) spielt, welche Herausforderungen perspektivisch in den beiden Segmenten zu erwarten sind und welche demografischen Herausforderungen auf die Sozialversicherung zukommen, diskutierte Cash. mit Dr. Ulrich Mitzlaff, Vorstandsvorsitzender der SDK, sowie Olaf Engemann, Vertriebsvorstand der SDK. (Teil 1 des Strategiegesprächs)

Wir haben den Ukraine-Krieg, den Nahost-Krieg und auch die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven sind derzeit nicht rosig. Wie zufrieden sind Sie mit dem Geschäftsjahr 2023?
Mitzlaff: Wir können mit dem Jahr im Großen und Ganzen zufrieden sein. Wir können aktuell noch nicht ganz genau sagen, wie unser Jahresergebnis ausfällt. Was wir beobachten, ist ein deutlicher Anstieg der Leistungsausgaben. Und das ist ein branchenweites Thema. Das Vertriebsergebnis ist aber exzellent. Womit wir zudem sehr zufrieden sind, ist die Entwicklung einer neuen Mitarbeiterkultur.

Wir sehen deutlich, dass die Arbeit an der leistungsfördernden Zusammenarbeitskultur, also dem Empowerment und der Partizipation, Früchte trägt. Außerdem arbeiten wir an der Weiterentwicklung unserer Geschäftsstrategie. Zielgruppe hierbei sind Mitglieder, Vertriebspartner und Mitarbeitende gleichermaßen. Dazu haben wir verschiedene strategische Handlungsfelder entwickelt, die von Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen geplant und umgesetzt werden; auch hier finden sich also unsere Prinzipien von Empowerment und Partizipation wieder. Denn wir wollen eine Strategie, die zunehmend verhaltens- und entscheidungsleitend ist.


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Engemann: Das Ergebnis ist hervorragend und darüber bin ich wirklich glücklich. Wir sind in jedem Vertriebsweg im Vergleich zum Vorjahr zweistellig im Plus. Das gilt für Bank-, Makler-, AO und Direktvertrieb gleichermaßen. Da gibt es keine Leuchttürme, da alle Vertriebswege gleichermaßen erfolgreich waren. Wir hatten zwei Schwerpunkte, die Vollversicherung und die betriebliche Krankenversicherung – und wir verspüren, dass wir auch in der Vollversicherung wieder vertrieblich stärker unterwegs sind. Was die bKV betrifft: Da konnten wir sehr gut von den Entwicklungen im Markt partizipieren, da wir auch hier hervorragende Produkte und Angebote haben, die im Wettbewerb sehr stark abschneiden. Für 2024 planen wir, diese Entwicklungen weiter zu verstetigen.

Sie sagten gerade, dass die Leistungsausgaben deutlich steigen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Mitzlaff: Wir tauschen uns hierzu auch im PKV-Verband aus, aber es ist derzeit noch nicht klar, was genau die Auslöser sind. Wir sehen mehr Einreichungen. Vor allem im stationären Bereich. Im ambulanten Bereich ist es weniger, die Zahnzusatzversicherungen spielen kaum eine Rolle. Was in den Rechnungen zudem auffällt, ist eine vermehrte Anzahl an abgerechneten Gebührenziffern. Die gleiche Entwicklung verzeichnen auch Mitbewerber. Wir erwarten für das Ergebnis 2023 eine Steigerung der Leistungsausgaben, die oberhalb des Vor-Corona-Niveaus liegt. Das können also eigentlich keine Pandemie-Effekte mehr sein.

Welche Rolle spielt hierbei die medizinische Inflation?
Mitzlaff: Natürlich ist die Finanzierungssituation der Krankenhäuser unter Druck. Aber die wirklichen Ursachen können wir noch nicht bemessen. Es wäre unfair, zu spekulieren. Neben der medizinischen Inflation sehen wir aber auch Effekte durch die allgemeine Inflation, also die grundsätzliche Preissteigerung. Dies schlägt sich natürlich auch auf die Preise für medizinische Leistungen nieder.
Sehen Sie sich eher als Krankenvollversicherer oder als PKV-Anbieter mit Schwerpunkten bKV und Zusatzversicherungen?

Engemann: Wir haben den Fokus definitiv nicht nur auf Krankenzusatz. Warum haben wir in letzter Zeit das Thema Vollkrankenversicherung (VKV) wieder deutlich in den Vordergrund gerückt? Das lag auch daran, dass wir in den letzten Jahren 2020 und 2021 neue Zusatztarife in den Markt gebracht und uns vertrieblich auch darauf fokussiert hatten. Vielleicht drängt sich da der Eindruck auf, wir hätten etwas den Bezug zur Vollversicherung verloren. Aber in den letzten Jahren war der Saldo der Wechsler von der GKV in die PKV positiv. 2023 haben wir als PKV sogar ein positives Gesamtsaldo nach Abzug der Sterbefälle und der Abgänge wegen gesetzlicher Versicherungspflicht erreicht, wie der PKV-Verband kürzlich bekannt gegeben hat. Wir sehen daher gute Chancen zur Trendumkehr in Sachen Bestandsabrieb.

Das Thema Vollversicherung hat wieder mehr Fahrt aufgenommen. Ein freiwillig gesetzlich Versicherter zahlt in der GKV über 1.000 Euro Monatsbeitrag. Zu diesem Preis kann man nicht nur sich selbst, sondern ggf. außerdem zwei Kinder hervorragend privat versichern . Die private Vollversicherung ist das margenträchtigste Geschäft für die Vertriebspartner.

„Ein Vermittler muss schon 30 bis 35 Verträge für Zusatzversicherungen abschließen, um auf ähnliche Größenordnungen in der Provision zu kommen wie für eine einzelne Vollversicherung.“

Olaf Engemann

Ein Vermittler muss schon 30 bis 35 Verträge für Zusatzversicherungen abschließen, um auf ähnliche Größenordnungen in der Provision zu kommen wie für eine einzelne Vollversicherung. Es ist also ein lukratives Geschäft, auf das wir weiter setzen. Vor dem Hintergrund werden wir unsere vertrieblichen Anstrengungen in diesem Bereich über alle Vertriebswege intensivieren.

Gleichwohl sind Branchenexperten aber überzeugt, dass die bKV eine immer wichtigere Rolle übernehmen wird. Welche Bedeutung hat die bKV für die SDK?
Engemann: Der Kunstgriff der Halleschen, die Einführung der Budgettarife vor fünf Jahren, hat dazu geführt, dass die Makler die bKV verstärkt in die Beratung genommen haben. Wir haben ebenfalls Budgettarife im Angebot, sehen aber nach wie vor großes Potenzial in der klassischen bKV. Die Entwicklung ist beinahe explosionsartig und bestätigt, dass das ein Wachstumsfeld ist. Wir partizipieren von den Entwicklungen im Markt.

Weil unser Konzept, das wir seit drei Jahren im Markt treiben – der Dreiklang aus betrieblicher Krankenversicherung, betrieblichem Gesundheitsmanagement und den Gesundheitsdienstleistungen – fruchtet. Wir haben ein zweistelliges Plus in diesem Segment. Auch dank unserer neuen Kooperationen mit pd business, die wir weiter intensivieren möchten. Die bKV wird auch zukünftig ein Wachstumsfeld sein, dass wir in jedem Fall bedienen wollen und werden. Die Budgettarife haben wir entwickelt, weil es diese im Markt braucht, um die Kundinnen und Kunden zu erreichen, die sich an dieses Themenfeld erst herantasten. Die klassischen Bausteintarife sind hingegen unsere absolutes Steckenpferd. Das sieht man auch an den Neugeschäftsanteilen. 80 Prozent sind klassische bKV. Der Rest Budgettarife. Das mag bei anderen Versicherern anders aussehen.

Wie komplex ist die Beratung der Tarife? Denn die bKV betrifft nun einmal Arbeits- und Steuerrecht.
Engemann: Es ist längst nicht so komplex wie eine bAV. Allerdings ist die bAV seit Jahrzehnten im Markt und ist daher ganz anders platziert. Diejenigen, die sich bereits im Rahmen der bAV mit Kollektivversicherungen beschäftigt haben, sind etwas reifer auch für die bKV. Da tut sich der ein oder andere Versicherer, der beide Vorsorgewege anbietet, leichter. Generell ist es in Unternehmen, in den die bAV bereits bekannt ist, leichter eine bKV zu platzieren.

In der Krankenvollversicherung hat der Gesetzgeber die JAEG weiter angehoben – von 66.600 auf nunmehr 69.300 Euro. Wieviel Potenzial hat die die klassische Krankenvollversicherung in Zukunft, auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Hürden auch künftig höher legen dürfte?

Mitzlaff: Es ist nicht neu, dass die Grenze jedes Jahr steigt. Nicht neu ist auch, dass es gewisse politische Strömungen gibt, die das verschärfen wollen. Und am liebsten gleich auf die Höhe der Rentenversicherung setzen wollen. Die FDP ist im Moment die Gewähr dafür, dass das nicht passiert. Wir wissen aber nicht, wie es nach der kommenden Bundestagswahl aussieht. Insofern setzen wir auf beide Felder – Vollversicherung einerseits und bKV und Zusatz andererseits. Und natürlich ist das Engagement in bKV und Zusatzversicherung ein Stück auch Stärkung dieses Standbeins, für den Fall, das politisch bedingt die Potenziale wegbrechen.

Ich glaube aber, dass das Bewusstsein zunimmt, dass es im GKV-System einen Reformstau gibt. Und deshalb diejenigen, die in die PKV wechseln können, dass in den kommenden Jahren verstärkt auch tun werden. Mich regt es auf, wenn man meint, das funktionierende System PKV abschaffen zu können, um das reformbedürftige System der GKV zu subventionieren. Selbst wenn man jetzt alle verpflichtend in die GKV hineinbrächte, wäre dies ein Strohfeuer. Denn es bleibt ein reformbedürftiges System. Man kann darüber streiten, ob es drei, fünf oder sieben Jahre dauert, bis der Effekt der Mehreinnahmen durch die zuvor PKV-Versicherten verpufft ist, aber er wird verpuffen. Damit wird das Gesundheitssystem nicht demografiefester, sondern langfristig deutlich instabiler.

Braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, um das Problem zu lösen?
Mitzlaff: Die letzte Gesundheitsministerin, die über Kostendämpfung gesprochen hat, war Ulla Schmidt im zweiten Kabinett von Gerhard Schröder. Spätestens zur Bundestagswahl wird die Bürgerversicherung als Thema wieder auf das Tableau gehievt. Ich würde behaupten, die meisten sagen hierzu etwas, weil es ein schickes Wahlkampfthema ist oder sie schlicht keine Ahnung haben. Denn die Einführung der Bürgerversicherung wie von gewissen politischen Akteuren vorgeschlagen, dürfte verfassungsmäßig nicht gehen. Der einzig legale Weg in diese Richtung wäre aus meiner Sicht die Kopfpauschale. Die lehnen aber die gleichen ab, die die Bürgerversicherung wollen. Das hat schon eine gewisse Absurdität.

Die Kopfpauschale wurde seinerzeit von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer beerdigt, weil der politische Widerstand zu groß war.
Mitzlaff: Und weil man sich viel zu wenig die Mühe gemacht hat, zu verstehen, was eigentlich gemeint war. Ich halte sie auch heute noch für einen vernünftigen Reformansatz. Wir müssen uns in der Krankenversicherung von Bismarck‘s Ansatz lösen. In die Krankenversicherung kann nicht der Ausgleich zwischen arm und reich gehören, sondern zwischen gesund und krank. Der Ausgleich zwischen arm und reich gehört ins Steuer- und nicht ins Sozialsystem. Wir müssen ein Gesundheitssystem erschaffen, dass aus sich selbst heraus tragfähig ist. Wir haben in allen Sozialversicherungssystemen dramatisch steigende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Wenn das so weitergeht, wird der Staat handlungsunfähig, weil er alles für die Rente und die Gesundheit ausgeben muss. Es gibt einen dringenden Reformbedarf.

Warum halten Sie die Kopfpauschale trotz der Widerstände für einen guten Ansatz?
Mitzlaff: Der Gedanke, der Kopfpauschale war, das Duale System aus PKV und GKV aufzulösen und in einem Gesundheitssystem, in dem alle das gleiche anbieten, nach einer Prämie kapitalgedeckt zu kalkulieren. Entweder man definiert das heutige Prämienvolumen und teilt es durch die heutigen Versicherten, dann hat meine eine feste Prämie. Oder man definiert den Leistungskatalog und definiert, welche Prämie man benötigt. Vor dem Hintergrund des Unisex-Urteils wäre die für Frauen und Männer gleich.

Wer mehr Absicherung möchte, kann dies über Zusatzversicherungen lösen, die von den ehemaligen GKV und PKV-Versicherern angeboten würden. Der Vorschlag wurde sehr schnell als unsozial verbrämt, was ich nicht sachlich finde. Denn man muss erst das System schaffen und dann fragen, was man mit denen macht, die das nicht stemmen können. Also den Kindern, den Rentnern, den Arbeitslosen, den weniger gut Ausgebildeten.

„Man muss Solidarität nicht nur in der Gegenwart denken, sondern auch zwischen den Generationen. Denn wenn die Reform nicht kommt, werden die Sozialversicherungsbeiträge in einem Maße steigen, dass sie für zukünftige Generationen nicht mehr tragfähig sind.“

Ulrich Mitzlaff

Dies als unsolidarisch zu bezeichnen, weil ein Pförtner dasselbe bezahlt, wie ein Manager; dem würde ich entgegensetzen, dass man Solidarität nicht nur in der Gegenwart denken muss, sondern auch zwischen den Generationen. Denn wenn die Reform nicht kommt, werden die Sozialversicherungsbeiträge in einem Maße steigen, dass sie für zukünftige Generationen nicht mehr tragfähig sind.

Sie glauben, dass das politisch ausgegebene 40 Prozent-Ziel als Beitragsgrenze für die Sozialversicherung nicht mehr zu halten ist?
Mitzlaff: Wenn es so weitergeht und damit rechnen etwa die Wirtschaftsweisen oder der PKV-Verband, werden wir in 20 bis 25 Jahren an der 50-Prozent-Marke kratzen. Meine Kinder sind in der zweiten Hälfte der 90er Jahr geboren. Sie werden in ihrem Erwerbsleben durchschnittlich Sozialversicherungsbeiträge von über 50 Prozent haben. Nochmals: Man muss Solidarität auch generationsübergreifend denken.

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