In vielen Ländern, die als erstes von der höheren Inflation betroffen waren, haben die Zentralbanken – insbesondere die US-Zentralbank Federal Reserve – aufgrund der neuen Datenlage die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen verlangsamt. Dementsprechend rechnen wir nur noch mit einer begrenzten Straffung in den USA, und auch wenn die Europäische Zentralbank und die Bank of England die Zinsen wahrscheinlich noch etwas weiter erhöhen werden, nähern sie sich vermutlich dem Ende ihres jeweiligen Straffungszyklus.
Wachstumsaussichten positiver als noch vor einigen Monaten
Aufgrund der Zuversicht der Märkte, dass die Inflation unter Kontrolle gebracht wird und es für die Zentralbanken nicht mehr viel zu tun gibt, haben sich die finanziellen Bedingungen erheblich gelockert, weshalb die Wachstumsaussichten nun positiver ausfallen als noch vor einigen Monaten. Besonders ausgeprägt ist der Wachstumsschub in Europa, wo die Sorge über eine Verknappung des Erdgases nachgelassen hat. Tatsächlich ist der Gaspreis an den europäischen Börsen jetzt niedriger als vor 12 Monaten. Dieser Preisrückgang wird sich stark auf die Inflation und die reale Kaufkraft der Haushalte auswirken. Wir erwarten in der Eurozone deshalb in diesem Jahr ein positives Wachstum.
Die beschleunigte Öffnung in China unterstützt ebenfalls den wirtschaftlichen Optimismus, denn dieser Prozess sollte alle verbliebenden Verwerfungen in der globalen Lieferkette beseitigen und einen wichtigen Verbrauchermarkt wieder zum Laufen bringen.
Im Vereinigten Königreich dagegen sind die Aussichten nach wie vor recht pessimistisch, denn im Gegensatz zu Kontinentaleuropa steigt der Lohndruck in Großbritannien noch immer relativ stark. Dies behindert den Desinflationsprozess. Zudem begrenzen die Auswirkungen des Brexits das potenzielle Wachstum. Daher prognostizieren wir für das Vereinigte Königreich weiterhin eine Rezession.
Kurzfristiges Risiko: Friktion zwischen Zentralbanken und Finanzmärkten
Das offensichtlichste kurzfristige Risiko zurzeit sind potenzielle Reibungen zwischen den Finanzmärkten und den Zentralbanken. Während die Finanzmärkte von einem drastischen und dauerhaften Rückgang der Inflation auszugehen scheinen, der den Weg für eine lockere Geldpolitik in relativ kurzer Zeit ebnen würde, bleiben die Zentralbanken zurückhaltender. Sollte die kommende Desinflation schleppender vonstattengehen und die Zentralbanken ihre Geldpolitik langsamer lockern als vom Markt erwartet, könnten die Finanzmärkte zu kämpfen haben und die daraus resultierende Verschärfung der finanziellen Bedingungen könnte sich negativ auf das Wachstum auswirken. Entscheidend für die weiteren Aussichten sind deshalb die Inflationsdaten der kommenden Monate.
Autor Eric Winograd ist Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein.