Spätestens mit dem neuen US-Präsidenten und seinen ersten Direktiven sind in Europa Umwälzungen im Gange, die zuvorderst die EU-Politik in Bezug auf die europäische Verteidigungsbereitschaft auf den Prüfstand stellen – aber auch und weniger offenkundig der zukünftige Umgang mit Klima und Nachhaltigkeit. Und wie die laufenden Verhandlungen der möglichen Koalitionäre der zukünftigen Bundesregierung zeigen, schlagen sich die aktuellen geopolitischen Umbrüche auch in den Koalitionsverhandlungen nieder. Auffällig ist, dass darin die klimapolitischen Priorisierungen der vormaligen „Ampel-Regierung“ weitgehend an Bedeutung verloren zu haben scheinen. Zeitlich parallel überarbeitet die EU-Kommission zentrale Pfeiler ihres „Green Deal“ und dessen zentrales Projekt „Sustainable Finance“: Mit einem Omnibus-Verfahren soll das Regulierungsdickicht aus CSRD, ESRS, SFDR, Tax-VO handhabbarer gemacht werden. Nicht erkennbar ist derzeit in beiden vorgenannten Vorhaben eine tiefgreifende Neuausrichtung der Klimapolitik und einer darin revidierten Rolle des Finanzsektors.
Dabei ist eine Neubetrachtung und -ausrichtung in der Klimapolitik Deutschlands aufgrund der immer dramatischeren Bedrohungen von durch den Klimawandel hervorgerufenen Extremwetterereignisse dringend erforderlich. So schätzt eine Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung vom Herbst 2024, dass in den kommenden 20 Jahren durch den Klimawandel die wirtschaftliche Bedrohungen unter anderem in der EU enorm zunehmen werden, auch weil die globale Dekarbonisierungsrate stagniert und eine Überschreitung des 1,5-Grad-Ziels nach einer Studie von PwC vom Anfang dieses Jahres damit immer mehr Realität werden dürfte. Die hauptsächlichen Verursacher sind bekannt: 2023 entfielen 34 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes auf China, 12 Prozent auf die USA und 7,6 Prozent auf Indien – zusammen gut 50 Prozent der globalen Emissionen. Während der designierte US-Präsident die Unterzeichnung des Weltklimaabkommens der USA aus dem Jahr 2015 („Paris Alignment“) aufkündigen will und die fossile Industrie zur Erhöhung ihrer Fördermengen ermuntert („Drill Baby Drill“), dürften die Länder des globalen Südens ihre Kraftwerke noch lange überwiegend mit fossilen Brennstoffen befeuern, der Individualverkehr weiterhin mit Verbrennermotoren fahren und die Landwirtschaft noch mehr Treibhausgase durch Viehhaltung, Brandrodung etc. ausstoßen. Gerade das hohe Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum Indiens wird die Emissionen an Treibhausgasen in naher Zukunft weltweit akzelerieren lassen. Aber auch die von der Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte 2024 erhobene hohe Sorglosigkeit weiter Teile der deutschen Gesellschaft gegenüber dem Klimawandel und damit verbunden die geringe Bereitschaft zu klimafreundlicher Wirtschafts- und Lebensweise sowie ein Statusdenken der Mittelschicht mittels CO2-intensivem Konsum verschärfen den Klimawandel.
Für die grüne Transformation der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft verheißen diese Entwicklungen nichts Gutes. Die Wirkungen der von der Politik priorisierten Nachhaltigkeitsbemühungen, insbesondere der Klimaschutz, dürften in Anbetracht des 1,5-Prozent-Anteils Deutschlands am weltweiten Treibhausgasausstoß verpuffen – nicht aber die wachsenden schädlichen Wetterfolgen, denen Deutschland durch die hohen Emissionen vor allem der großen drei CO2-Nationen immer mehr ausgesetzt sein wird. Um damit fertig zu werden, ist die derzeit noch politisch priorisierte Klima-Mitigation und die Kanalisierung privater und öffentlicher Finanzmittel in Maßnahmen zur Energieeinsparung, Priorisierung der Elektromobilität, etc. zugunsten von Maßnahmen und Finanzierungen der Klima-Adaption wie Ausbau des Hochwasser-, Gebäude- oder Gesundheitsschutzes zu revidieren. Zur Verdeutlichung sei an Dennis Meadows, Urgestein der empirischen Nachhaltigkeitsforschung („Grenzen des Wachstums“, 1972), und dessen Interview vom Dezember 2009 in der Schweizer Zeitung „Finanz und Wirtschaft“ erinnert: „Heute spricht jeder über Nachhaltigkeit … Das ist bedeutungslos, weil die ökologische Tragfähigkeit der Erde bereits überschritten ist. Stattdessen müsste man über Widerstandskraft – Resilienz – sprechen, also darüber, wie eine schockresistente Entwicklung möglich ist“.
Wie ist unter diesen Umständen die steckengebliebene grüne Transformation Deutschlands zu beurteilen? Ist Sustainable Finance auch oder trotz des Omnibus-Vorschlags der EU-Kommission nicht grundlegend fehlgeleitet und der in die klimapolitische Pflicht genommene Finanzsektor (nach wie vor) fehladressiert?
In Anbetracht der kurz- bis mittelfristig nach Experten des Weltklimarats kaum noch aufzuhaltenden Erderwärmung und dadurch ausgelöster Extremwetterereignisse ist in Deutschland die Mobilisierung von privatem und öffentlichen Kapital für Investitionen und Maßnahmen zur nationalen Klima-Resilienz gegenüber Klimaschutzzielen wesentlich sinnvoller, wenn gar existenziell nötig. Dies erfordert ein Umdenken in der derzeitigen Klima- und Nachhaltigkeitspolitik, vor allem aber der Sustainable Finance-Regulierung – EU- und deutschlandweit. Zudem gilt gerade Deutschland mit seiner Klimapolitik in den Augen vieler Länder nicht als Best Practise. Volatile und zeitweise stark ansteigende Strompreise in der EU aufgrund diskontinuierlicher deutscher Einspeisungen von vor allem Windkraftstrom ins EU-Stromnetz, hohe Importe von französischem (Atom-)Strom, Anspannungen aufgrund eines schleppenden deutschen Netzausbaus sind nur einige Negativbeispiele über den deutschen „Klima-Gernegroß“. Was noch viel größere Zweifel an der außenpolitisch gewünschten Nachahmung deutscher Klimapolitik in der EU und der Welt hervorruft, ist, dass sich treibhausgasintensive Länder wie Indien und China aber auch die unter Donald Trump erstarkende fossile Industrie gegen die in ihren Augen schulmeisterlichen Ratschläge Deutschlands (und der EU) verwahren. Mangelnde vorzeigbare Effektivität und Fortschritte der deutschen Klima-Mitigation, geringe positive Übertragungseffekte auf die Klimapolitik anderer Staaten und teilweise adverse Effekte auf Wirtschaften und Gesellschaften von EU-Nachbarstaaten sind weitere Gründe dafür, dass deutsche Finanz- und Ressourcenpotenziale zukünftig primär für Klima-Adaption eingesetzt werden müssten. Und für die heimische Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist zu befürchten, dass viele der derzeit mit wirtschaftlichen Einbußen und hohen Subventionen experimentierenden grünen Transformationsmaßnahmen ins Leere laufen.
Ohne Kurskorrektur dürften sich deren jetzt schon erkennbaren Kollateralschäden weiter verschärfen wie aus einer Studie von Deloitte Ende 2024 zu Tage gefördert wurde: anhaltend niedrige Wirtschaftsleistung sowie Abwanderungen von Unternehmen ins Ausland und dadurch bedingte Arbeitsplatzverluste, internationale Wettbewerbseinbußen durch komparative (Energie-)Kostennachteile und Innovationsschwächen. Damit versickert dringend benötigtes privates und öffentliches Kapital, um Maßnahmen und Investitionen zur Klima-Resilienz von Wirtschaft und Gesellschaft zu tätigen – zusätzlich zu öffentlichen Infrastrukturinvestitionen. Nicht nur Agilität, Innovations- und Finanzkraft sowie Bürokratieabbau sind dazu in Deutschland dringend erforderlich. Es braucht auch eine Resilienz schaffende und unterstützende Wirtschaftspolitik, um Klimaschäden in Wirtschaft und Gesellschaft einzudämmen – und einen Finanzsektor, der dafür Kapazitäten, Kompetenzen, Produkte und finanzielle Mittel mobilisiert sowie die passenden Risikoinstrumente bereithält. Nicht die Entwicklung von die Finanzinstitute strategisch und operativ überfordernden und in ihrem Impact zweifelhafte Klima-Transitionspläne, Green Asset Ratios, Taxonomie-Konformitäten sind die Gebote der Stunde, sondern die Klima-Resilienz des Finanzsektors und seiner Kundschaft.
Henry Schäfer war bis 2019 Ordinarius der Universität Stuttgart und Inhaber des Lehrstuhls „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft“. Eine besondere Bedeutung hat bis heute der Forschungsbereich „Sustainability & Finance“. Von 2007 bis 2023 war er geschäftsführender Gesellschafter der von ihm gegründeten Ecco Works GmbH, einer Beratungsgesellschaft für Sustainable Finance.