Die Lebenserwartung bei Geburt ist in Deutschland seit Anfang der 1980er-Jahre nirgendwo so stark gestiegen wie in Berlin. Sie lag dort 2015 bei 80,5 Jahren – und damit 8,6 Jahre höher als 1982. Am längsten leben die Menschen dagegen nach wie vor in Baden-Württemberg.
Generell haben die neuen Bundesländer seitdem am stärksten zugelegt. Das zeigen aktuelle Berechnungen des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) exklusiv für die Initiative des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) „Sieben Jahre länger“. Die Daten erlauben es erstmals, die Entwicklung der Lebenserwartung für alle Bundesländer bis in die Zeit vor der Wiedervereinigung zurückzuverfolgen. Die Spitzenreiter in puncto Lebenserwartung kommen allerdings aus dem Ländle: Die Baden-Württemberger gehören nicht nur wirtschaftlich zu den Erfolgreichen. Sie leben auch noch immer am längsten.
Den größten Zugewinn an Lebenszeit gab laut MPIDR generell im Osten. Hinter Berlin rangieren mit Brandenburg (plus 8,5 Jahre), Mecklenburg-Vorpommern (plus 8,2 Jahre) und Thüringen (plus 7,7 Jahre) ausschließlich neue Bundesländer. Dahinter folgen Sachsen und mit Hamburg das erste westdeutsche Bundesland – mit einem Plus von jeweils 7,5 Jahren. Den geringsten Zuwachs verzeichnet Bremen: Die Lebenserwartung bei Geburt lag dort 2015 „nur“ 5,9 Jahre über der von 1982.
Baden-Württemberg auch bei Lebenserwartung führend
Stark gestiegen ist die Lebenserwartung im Osten vor allem ab 1990. „Ein wesentlicher Faktor war dabei die Verbesserung der medizinischen Versorgung nach der Wiedervereinigung“, sagt Sebastian Klüsener, Wissenschaftler am MPIDR. Zudem spielen Umweltfaktoren eine Rolle. So haben sich durch den Rückgang von Industrieabgasen in weiten Teilen Ostdeutschlands die Luftqualität spürbar verbessert.
Doch nirgendwo werden die Menschen älter als in Baden-Württemberg (81,8 Jahre). Dahinter folgen Bayern mit 81,3 Jahre, Hessen mit 81 Jahren und Hamburg mit 80,9 Jahren. Während diese Länder ihre Spitzenpositionen über die Jahrzehnte verteidigt haben, sind andere Regionen im Westen zurückgefallen. Das gilt beispielsweise für Schleswig-Holstein, Niedersachen oder Bremen.
Ost-West-Gefälle verschwindet
Damit hat sich auch das einstige Ost-West-Gefälle ein wenig aufgelöst. Schlusslichter sind heute neben Sachsen-Anhalt (79,2 Jahre) das Saarland, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern mit einer Lebenserwartung bei Geburt von jeweils 79,8 Jahren. Demograf Klüsener führt die aktuellen Unterschiede vor allem auf die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zurück. „Wirtschaftsstarke Regionen wie Baden-Württemberg locken beispielsweise viele Akademiker an, die durchschnittlich gesünder sind als andere Teile der Bevölkerung.“ Daneben spielen auch regionale Unterschiede bei den Lebensstilen, wie etwa dem Rauch- oder Trinkverhalten, noch eine wichtige Rolle.
Gleichwohl hat das Gefälle in der Lebenserwartung bei Geburt in Deutschland seit 1982 etwas abgenommen. Trennten damals den Spitzenreiter Baden-Württemberg und Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern noch 3,4 Jahre, so liegt die maximale Differenz heute bei 2,5 Jahren.
Werte des MPIDR basieren auf selbst entwickelter Datenbank
Die Lebenserwartung in den Bundesländern hat das MPIDR auf Basis der Human Mortality Database berechnet – ein Gemeinschaftsprojekt mit der University of California in Berkeley. Die Daten zeigen für jedes Alter die Lebenserwartung auf, wenn die aktuellen Sterblichkeitsverhältnisse über die nächsten Jahrzehnte konstant bleiben würden. Es handelt sich also um eine Momentaufnahme der heutigen Sterblichkeitsverhältnisse. Wie hoch die Lebenserwartung für Menschen bestimmter Geburtsjahrgänge ist, zeigen die sogenannten Generationen- oder Kohortensterbetafeln. Berechnungen mit derartigen Sterbetafeln, welche aktuelle Trends in der Verbesserung der medizinischen Versorgung miteinbeziehen, prognostizieren besonders bei jüngeren Altersgruppen deutlich höhere Lebenserwartungen.
„Sieben Jahre länger“ ist eine Initiative des GDV. Ziel der Assekuranz ist es, das Bewusstsein der Bevölkerung dafür zu schärfen, dass es eine Diskrepanz zwischen der gefühlten und der tatsächlichen Lebenserwartung hierzulande gibt. Denn die meisten Deutschen schätzen diese deutlich geringer ein. (dr) Foto: Shutterstock