Wolfsrisse: Was tun, wenn die „Kinder der Nacht“ zuschlagen?

Foto: PantherMedia/[email protected]
Die Zahl der Wolfsangriffe sowie der getöteten und verletzten Nutztiere ist seit 2014 deutlich gestiegen.

EXKLUSIV Wölfe breiten sich immer stärker in Deutschland aus, auch die Zahl der Wolfsangriffe auf Nutztiere nimmt zu. Wie sich Schäfer und Landwirte dagegen absichern können.

„Hören Sie die Kinder der Nacht? Was für eine Musik sie machen!“ Graf Dracula spricht fast schon ergriffen über das Heulen der Wölfe, das aus den transsilvanischen Wäldern bis in sein Schloß dringt. Die Augen des Vampirs funkeln und er scheint seinen Gast, den Londoner Rechtsanwalt Jonathan Harker, ein wenig zu bemitleiden: „Ja, mein Herr, Ihr Stadtbewohner seid eben nicht imstande, einem Jäger nachzufühlen.“ Schon auf der Kutschfahrt zum Schloß hatte Harker das Wolfsgeheul vernommen, „ein lauteres, heller klingendes Geheul, welches die Pferde und auch mich in hohem Maße erschreckte.“

Gruselromane wie Bram Stokers „Dracula“ aus dem Jahr 1897 haben dazu beigetragen, das Bild vom Wolf als geheimnisvolle, blutrünstige Bestie zu prägen. Doch eine reale Gefahr ging von ihm seit Jahrhunderten kaum noch aus – weder für Menschen noch für Nutztiere. In Deutschland galt der Wolf seit Mitte des 19. Jahrhunderts sogar als ausgerottet. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts aber breitet er sich in Europa und damit auch in Deutschland wieder stärker aus.


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Hierzulande lebten nach den Zahlen der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (DBBW) im Monitoringjahr 2022/2023 insgesamt 184 Rudel, 47 Paare und 22 territoriale Einzeltiere. Anlässlich des Monitorings wurden in den bestätigten Wolfsterritorien insgesamt 1.339 Wolfsindividuen nachgewiesen. Das Bundesumweltministerium spricht von einem „positiven Trend der Populationsentwicklung“, die damit verbundene Ausbreitung des Wolfes halte weiter an. Damit steige aber auch das „Konfliktpotenzial“, das den Umgang mit dem Wolf als einer streng geschützten Tierart zunehmend schwieriger gestalte.

Das bestätigen die Daten, die die DBBW erhebt: Sie zeigen, dass die Zahl der Wolfsangriffe sowie der getöteten und verletzten Nutztiere seit 2014 deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2022 gab es bundesweit über 1.000 gemeldete Wolfsübergriffe auf Nutztiere (Schafe, Ziegen, Rinder, Gehegewild und andere Tierarten) mit fast 4.500 getöteten oder verletzten Tieren.

Für Landwirte, Züchter und Schäfer stellt sich somit die Frage, wie sie sich gegen die finanziellen Folgen von Wolfsrissen absichern können. Dabei spielt der Staat eine wichtige Rolle. In Deutschland erhalten Nutztierhalter laut Jürgen Haux, Sprecher der Versicherungskammer Bayern, Entschädigung nach der Ausgleichsregelung, wenn die Tötung eines Nutztieres durch einen großen Beutegreifer wie Wolf, Bär oder Luchs nachgewiesen wird oder Erst- und Zweitdokumentation deutliche Hinweise darauf geben. „Bei Angriffen von Wölfen auf Weidetiere haben grundsätzlich staatliche Leistungen Vorrang, zusätzliche Versicherungen leisten subsidiär. Das bedeutet: Schäden, die bereits durch staatliche Stellen erstattet werden, werden nicht ein zweites Mal durch eine andere Versicherung bezahlt“, erläutert Carsten Reimer, Agrarexperte bei der R+V Versicherung.

Trotz der staatlichen Leistungen seien eigene Versicherungen aber wichtig für die Tierhalter, betont Reimer – denn nicht alle Folgen eines Wolfsangriffs würden von der öffentlichen Hand getragen. So gibt es beispielsweise Versicherungen für den Fall, dass Nutztiere von Wölfen getötet werden und die öffentliche Hand keinen Ausgleich zahlt. In der Agrarpolice der R+V sei der Verlust von Tieren durch Wolfsangriffe bis 10.000 Euro mitversichert, so Reimer. Auch in der Ertragsschadenversicherung der R+V seien die Folgen von Wolfsangriffen auf Rinder, Schweine und Geflügel über die Unfalldeckung mitversichert. Bei wertvollen Tieren wie Pferden oder Zuchtrindern könne eine Tierlebenversicherung sinnvoll sein, ergänzt er. „Sie zahlt den finanziellen Wert des Tieres bei Tod oder Nottötung, aber auch, wenn das Tier durch eine schwere Verletzung nicht mehr zur Zucht taugt oder nicht mehr geritten werden kann.“ Die Versicherungskammer Bayern bietet eine Weidetier- und Ertragsschadenversicherung für Pferde und Rinder an, jedoch nicht für Schafe und Ziegen. Wolfsrisse sind laut Haux vom Versicherungsschutz umfasst, sie gelten als Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen.

Zusammenarbeit mit Behörden erforderlich

Darüber hinaus kommen noch weitere Policen in Betracht: „Durch die Vielzahl der rechtlichen Vorgaben an Zäune, Gatter und Pforten ist das Risiko hoch, dass die Landwirte bei einem Unfall zumindest eine Teilschuld tragen. Deshalb ist für Tierhalter eine Betriebshaftpflichtversicherung ein Muss“, sagt Reimer. „Sie haften für Schäden, die anderen Personen entstehen, wenn die Tierhalter bei der Beaufsichtigung der Tiere die notwendige Sorgfaltspflicht verletzt haben. Unfälle können beispielsweise passieren, wenn die Tiere bei einer Wolfsattacke in Panik geraten, ausbrechen und auf der Flucht vor ein Auto laufen.“ Pferde könnten bereits bei Wolfswitterung panisch reagieren, auf die Straße galoppieren und einen Unfall verursachen. Hier schütze eine spezielle Tierhalterhaftpflicht-Versicherung vor den finanziellen Folgen.

Um Wolfsrisse nachweisen zu können, ist die Zusammenarbeit mit Behörden erforderlich. Laut Haux sollten Tierhalter Schäden an Nutztieren umgehend an das zuständige Landesamt für Umwelt melden: „Das Beutetier wird amtlich mittels Gentest untersucht, um festzustellen, dass der Beutegreifer ein Wolf war.“ Auch Reimer rät Tierhaltern dazu, einen staatlichen Gutachter hinzuzuziehen, wenn Tiere durch Wölfe angegriffen und verletzt oder getötet wurden. Dieses Gutachten sei für die Beantragung der staatliche Entschädigung erforderlich, könne aber auch als Nachweis für die Versicherungen genutzt werden. „Wenn Tiere ausbrechen und beispielsweise einen Unfall verursachen, ist kein Nachweis erforderlich, dass ein Wolf die Flucht verursacht hat“, erläutert er.

Jonathan Harker übrigens gelingt die Flucht vor Dracula und seinen Wölfen – nachdem diese eine Frau zerfleischt haben.

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