Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen die Gefahren und die Notwendigkeit der Absicherung sehen?
Neuhalfen: Ich glaube, dass die Gesamtbevölkerung sehr wohl das Bewusstsein entwickelt. Das Problem ist, dass jeder Einzelne Entscheidungen treffen muss, die ihn selbst betreffen. Und dort wird es schwierig. Speziell bei Sachversicherungen müssen Sie heute bereit sein, für einen etwaigen Schaden in der Zukunft Geld auszugeben.
Und das ist das Problem. Wir sprechen über Beratung, Überzeugung und Bewusstsein schaffen. Es steht ganz selten jemand morgens auf und sagt, ich wollte unbedingt eine Elementarschadenversicherung abschließen.
An der Stelle müssen wir als Versicherungswirtschaft intensiv arbeiten, auch weil sich der Staat aus den Rettungsschirmen zurückzieht. Aber es wird auch Menschen geben, die bewusst Nein sagen zu Versicherungsschutz. Und das muss man akzeptieren.
Brand: Ich denke, das Thema Klimaveränderung ist transparent. Die Herausforderung ist, dass ein Kunde eine Brücke schlagen muss zwischen dem Preis, den er für seine Versicherung zahlt und den möglichen Schäden aufgrund der klimatischen Veränderungen. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit leisten.
Und es ist in der allgemeinen Wahrnehmung eher verbreitet, dass Versicherungen nicht zahlen, wenn man sie braucht – was ja nicht stimmt. Wenn nach einer Naturkatastrophe Hunderte Millionen Euro gezahlt werden, finden sich kaum entsprechende Bemerkungen in der Presse.
Das zeigt: Wir haben ein Imageproblem. Ich halte das für bedauerlich. Denn das, was wir nicht bezahlen, ist ja im Prinzip das, wofür die Kunden nicht bezahlen wollen. Eine Wohngebäudeversicherung sichert Werte in Höhe hunderttausender Euro ab. Aber dort können fünfzig Euro mehr Prämie für einen umfassend absichernden Topschutz schon Gegenstand einer Diskussion werden. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses haben wir noch viel Aufklärungsarbeit vor uns.
Nairz: Grundsätzlich ist das Thema in der Gesellschaft angekommen. Das zeigen ja auch die Statistiken, etwa vom Umweltbundesamt. 2016 hat noch gut die Hälfte der Personen gesagt, dass sie Klimaschutz für eine große Herausforderung halten. Heute sind es schon zwei Drittel, also das ist innerhalb von drei Jahren ein immenser Anstieg.
Aber ich glaube, die größte Herausforderung ist, das von der globalen Perspektive auf die persönliche Situation herunterzubrechen. Was bedeutet es für mich als Person und für mein Hab und Gut – gerade im Bereich der Gebäudeabsicherung oder des Hausrates? Dort müssen wir noch mehr leisten, damit die Sensibilität und Akzeptanz zunimmt.
Rund 90 Prozent aller Immobilienbesitzer besitzen eine Wohngebäudeversicherung. Doch nur 43 Prozent eine Elementarschadenabsicherung. Liegt es daran, dass 94 Prozent glauben, der Elementarschutz sei bereits enthalten?
Neuhalfen: Bis 1994 gab es eine Versicherungspflicht gegen sämtliche Elementarschäden nur in Baden Württemberg. In Hamburg galt die für Sturm und Hagel. In den anderen Bundesländern – neu oder alt – gibt es dagegen einen freiwilligen Versicherungsschutz.
Wir hatten 2003 das Hochwasser an der Oder und 2013 an der Donau. Das wurde in der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommen. Wir sehen bei der Elementargefahrenabsicherung eine stetige Zunahme, aber langsam. Ich glaube, die Versicherer haben verstanden, dass sich die Absicherung nicht von allein verkauft.
Zudem haben Bund und Länder hier klar erklärt, dass sie nicht mehr bei Überschwemmungen zahlen, falls jemand nicht privat versichert ist. Es gibt die Möglichkeit der privaten Absicherung. Es ist aber ein Thema der Aufklärung. Beim Auto kennt man die Risiken und weiß um mögliche Schäden. Seltsamerweise wird in der Kfz-Vollkaskoversicherung kaum über Preise diskutiert.
Aber bei der Wohnung oder dem Haus, für die meisten Bürger die größte Investition im gesamten Leben, wird über fünfzig Euro Jahresbeitrag für die Absicherung gefeilscht. Das ist nicht wirklich nachvollziehbar.
Brand: Bei Domcura haben wir eine relativ hohe Durchdringung im Elementarbereich. Ich denke, das ist ein Spezifikum des Maklersegments, weil viele Makler in der Beratungshaftung folglich auf die Risiken der Naturgefahren hinweisen. Bei uns sind rund zwei Drittel aller Häuser elementarversichert.
Wenn jemand nicht versichert ist, ist es in vielen Fällen so, dass er glaubt, auf dieses Add-on verzichten zu können. Und da ist eben Aufklärungsarbeit zu leisten. Die Hauptaufgabe ist, Transparenz zu schaffen, über die Leistungsmerkmale des Produktes aufzuklären und dafür zu sorgen, dass eine Absicherung möglich wird. Aber das betrifft nicht nur die Elementardeckung. Das gilt ebenso für die Haus- und Grundbesitzerhaftpflichtversicherung oder die Feuerversicherung.
Wie hoch ist die Abdeckungsrate im Bereich Elementar bei der Alte Leipziger?
Neuhalfen: Im Bereich Hausrat liegt sie bei rund 20 Prozent. Im Bereich der Wohngebäudeversicherung bei etwa 35 Prozent. Wir sind einer der ältesten Versicherer in Deutschland mit einem alten Versicherungsbestand. In der Wohngebäudeversicherung haben wir uns die Aufgabe gestellt, alle alten Verträge anzufassen.
Das heißt, eine aktive Ansprache vorzubereiten, damit die Vermittler ihrer Beratungsverpflichtung besser nachkommen können. Eine wichtige Frage war, ob ein Elementarschutz in den bestehenden Verträge eingeschlossen ist. Falls nicht, wurde ein vereinfachtes Angebot erstellt.
Die Rücklaufquote war erstaunlich groß, denn viele Kunden haben festgestellt, dass zwar Sturmschäden versichert sind, aber Sturmschäden sind keine Elementarschäden im Sinne der Bedingungen. Das ist also ein Thema der Aufklärung. Und am Ende des Tages muss der Kunde sich entscheiden. Unsere Quote ist zwar deutlich gestiegen. Es gibt allerdings Menschen, die bewusst Nein sagen und das Risiko selbst tragen wollen. Das müssen wir akzeptieren.
Nairz: Letztendlich sprechen wir von einem sehr beratungsintensiven Produkt. Ich denke, das ist sicherlich eine Herausforderung, der sich die Versicherer stellen müssen. Nichtsdestotrotz haben über 50 Prozent keine Elementarversicherung. Allerdings: Wenn man sich die Zahlen des GDV anschaut, lag die Quote 2008 bei 25 Prozent. Und 2019 bereits bei 45 Prozent. Also man sieht schon, dass der Vertrieb dort eine massive Steigerung erreicht hat. Aber natürlich gilt es zu schauen, wie man das Produkt noch besser verkaufen kann.
Brand: Eine Versicherung ist von ihrem Konstruktionsprinzip darauf ausgerichtet, dass man nicht weiß, wann es wen trifft. Und da das der kalkulatorischen Basis entspricht, ist es absolut zu empfehlen, den bestmöglichen Versicherungsschutz zu wählen. Weil ich eben nicht weiß, ob ich derjenige bin, den dieses Risiko trifft.
Und wer sich mit Elementarschäden auseinandergesetzt hat, der ist doch überrascht, wo diese überall eintreten können. Persönlich habe ich alles, was ich versichern kann, versichert – und ich kann das jedem nur empfehlen. Fragen Sie diejenigen, die einen Ablehnungsbescheid von der Versicherung erhalten haben, weil sie nicht passend versichert waren.
Neuhalfen: Wenn Sie heute eine Wohngebäudeversicherung berechnen, sind die Gefahren vorbelegt. Früher gab es die Gefahren Feuer, Leitungswasser, Sturm und Hagel. Und zum Hinzuwählen die Elementardeckung. Die Struktur zeigt schon, dass eine vielleicht doch nicht so nötig wäre.
Heute sehen wir eine Viererkombination. Wenn wir uns die Schadenverteilung anschauen, fällt auf, dass es immer weniger brennt. Problematisch sind hingegen die stetig steigenden Leitungswasserschäden. Ein Grund: Die Gebäude werden immer älter. Bei den Wetterphänomenen sehen wir Sturm und Hagel.
Hinzu kommen die Elementarschäden, also sonstige Naturgefahren, wie die Klausel richtig heißt. Deswegen benötigen Kunden eigentlich eine klassische Viererkombination. Natürlich kann der Kunde aber entscheiden, ob Elementargefahren für ihn wichtig sind oder nicht. Der Deutsche Wetterdienst betont, dass Starkregen und Überschwemmungen überall auftreten können. Wolken halten sich selten an Deiche. Das ist leider so.
Neirz: Wir diskutieren es individuell mit unseren Partnern, wie eine Deckung für ihre Kunden aussehen kann. Aber ich glaube – und da bin ich grundsätzlich einer Meinung mit den Kollegen – dass die Absicherung optional bleiben sollte. Also Kunden müssen die Möglichkeit haben, den Elementarbaustein zu wählen oder eben nicht.
Eine Pflichtversicherung hat aus meiner Sicht mehr Nachteile wie Vorteile, was übrigens auch der Standpunkt des GDV ist, wo wir als Versicherer Mitglied sind. Auch wir versuchen, mit den Partnern gemeinsam die beste Lösung zu finden, wie man dieses Thema beim Kunden noch besser platzieren kann.
Seite 3: Warum sich viele die Versicherung nicht leisten können