Vor genau zehn Jahren wagten InsurTechs den Schritt in die Versicherungsbranche. Im Gegensatz zu heute war das Bild damals ein anderes: Tradition und Skepsis gegenüber Innovationen überwiegen, etablierte Giganten dominieren, und die Vorstellung, dass aufstrebende und junge Technologieunternehmen die Art und Weise, wie Versicherungen angeboten und verwaltet werden, revolutionieren könnten, wird belächelt. Obwohl die Größe der Branche beträchtlich war, stagnierte die Situation, und das Angebot beschränkte sich auf klassische Versicherungsprodukte. Die Marktzugänge waren teuer und die veraltete, stark diversifizierte IT-Infrastruktur lähmte etablierte Versicherer.
Doch heute, ein Jahrzehnt später, sind InsurTechs nicht nur längst auf dem Spielfeld angekommen, sondern haben bereits ihre Spuren hinterlassen. Mit Unternehmen wie Wefox, das den Status eines Unicorns erreicht hat, und rund 125 weiteren InsurTechs in Deutschland, haben sie sich als fester Bestandteil der Versicherungsszene etabliert.
Das zeigt: die Akzeptanz von InsurTechs hat rapide zugenommen, und die Branche hat sich für neue Ideen geöffnet. Obwohl ihr Marktanteil derzeit bei weniger als einem Prozent liegt, sind die Ökosysteme in Bewegung geraten. Allerdings geschieht dies nicht in der vorhergesagten Geschwindigkeit und die Herausforderungen von einst sind nicht verschwunden. Teure und langwierige Marktzugänge sowie veraltete IT-Infrastrukturen der etablierten Versicherungen erschweren die Zusammenarbeit mit den neuen Playern weiterhin. Um die Anforderungen der nachfolgenden Kundengruppen zu erfüllen, braucht es einen neuen Ansatz, sodass kleinere und mittlere Versicherer Schritt halten können.
Embedded Insurance und die Veränderung der Spielregeln
Vor sieben bis zehn Jahren wurde die Idee der Embedded Insurance noch belächelt, heute spielt das Konzept jedoch eine Schlüsselrolle. Sogar einige etablierte Unternehmen haben sich in diesem Bereich engagiert und Spin-Offs gegründet, mit dem Ziel, die Vorteile des innovativen Versicherungsansatzes zu nutzen.
Jedoch hat der Erfolg dieser Geschäftsmodelle auch eine Kehrseite. In den letzten Jahren sind zahlreiche, teils nachweislich innovationshemmende, Regularien aus der Politik aufgetaucht. Die Verschärfung der Anforderungen für Versicherungslizenzanträge und das Urteil des EuGH sind nur einige Beispiele. Ein interessanter Aspekt ist, dass seit dem BaFin-Urteil, soweit bekannt, kein InsurTech in Deutschland mehr eine Lizenz beantragt oder erweitert hat. Dieses Beispiel unterstreicht, wie regulatorische Entscheidungen die Dynamik eines aufstrebenden Sektors beeinflussen können.
Der Wandel im Fokus: Vom Kundenfang zum Back Office
Die 2010er waren geprägt von der Digitalisierung und der Frage, wie jüngere Kunden erreicht und wie die Integration von Versicherungsprodukten in digitale Prozesse erfolgen kann. Während etablierte Versicherer sich zunächst auf klassische Offline-Produkte konzentrierten, studierten InsurTechs die Customer Journeys. Sie passten ihre Buchungsprozesse an und entwickelten innovative, onlinefähige Produkte. Mit der Zeit wurden InsurTechs zu einer ernsthaften “Sorge” für die etablierten Versicherer. Diese reagierten, indem sie ihre Strategien anpassten. Inzwischen stehen nicht mehr nur Distribution und Kundengewinnung im Mittelpunkt, sondern auch Backoffice- und Schadenprozesse. Die Zusammenarbeit mit InsurTechs auf der Ebene der Prozesse hat sich etabliert, und moderne MGA-Konstrukte sowie Kooperationsgeschäfte sind entstanden. Dies ermöglichte es Versicherern, sich auf ihre Kernkompetenz, die Risikotragung, zu konzentrieren, während sie komplexe und digitalisierungsnotwendige Prozesse an InsurTechs auslagerten. Die digitale Distribution von eher traditionellen Versicherungen steht im Fokus vieler Anbieter, während andere als SaaS-Anbieter primär die digitale Transformation von Prozessen vorantreiben.
Der Markt für Versicherungen ist gewaltig. Allein in Deutschland erwirtschaftete die Branche im Jahr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2020 Bruttobeträge in Höhe von rund 325 Milliarden Euro. Das haben auch große Player aus anderen Branchen erkannt. Apple plant angeblich, sich bis spätestens 2024 als Anbieter im Vertrieb von Krankenversicherungen zu positionieren, um das bisherige Angebot von Apple Care zu erweitern. Amazon hat bereits seit 2016 eigene Versicherungsangebote, darunter Amazon Protect für Online-Elektrogeräte und eine Betriebshaftpflicht-Police seit August 2021. Und Tesla darf seit März 2022 Kfz-Versicherungen hierzulande anbieten. Diese Entwicklungen zwingen die Branche zum Umdenken. Junge und innovative Unternehmen setzen vermehrt auf die Zusammenarbeit mit Versicherern und InsurTechs, um Versicherungen und Care-Produkte direkt am Touchpoint zu verkaufen. Galten eingebettete Versicherungsprodukte vor fünf Jahren als unbekannt und wenig gewünscht, haben Unternehmen in den wirtschaftlich herausfordernden letzten Jahren inzwischen nach Möglichkeiten gesucht, ihre Kunden zusätzlich zu monetarisieren.
InsurTechs werden in den kommenden Jahren nicht nur ihre Prozesse stabilisieren, sondern sich auch deutlich flexibler und automatisierter präsentieren. Dies wird dazu führen, dass Kooperationen mit Tech-Unternehmen vertieft werden. Die Vorstellung, dass diese Tech-Unternehmen kurzfristig selbst Lizenzen als Versicherer übernehmen, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Das Versicherungsgeschäft erfordert beträchtliche Ressourcen, was die Möglichkeit einer solchen Umkehrung gering erscheinen lässt.
Die Zukunft der Versicherungsbranche
Auch die Zukunft scheint rosig: Immerhin soll der Markt für integrierte Versicherungen jährlich voraussichtlich um rund 20 Prozent wachsen – von 10,7 Millionen US-Dollar im Jahr 2022 auf 28,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2029. Im Kontext der Shared Economy und Circular Economy, wird Embedded Insurance auch hier eine Schlüsselrolle spielen. Zudem werden die Partnerschaften zwischen Versicherern und anderen Branchen wichtiger, um die Kommunikation mit Kunden zu verbessern und maßgeschneiderte Mehrwert-Services für die Marktpositionierung zu entwickeln. Wie auch für andere Branchen gilt an dieser Stelle: Der Einsatz von KI und künstlicher Intelligenz wird in den kommenden Jahren einen zentralen Stellenwert einnehmen. Diese Technologien ermöglichen eine effizientere Gestaltung der Prozesse und somit die Entwicklung fortschrittlicher Versicherungslösungen, basierend auf präzisen Daten und Analysen.
In Zukunft werden Konzerne ihr Kerngeschäft fokussieren und Versicherungsleistungen verstärkt von anderen Risikoträgern übernehmen. Partnerschaften oder Kooperationen spielen dabei eine zentrale Rolle. Gleichzeitig haben sowohl versicherungsfremde Großunternehmen als auch etablierte und neue Versicherungsunternehmen erkannt, dass sie an der Kundenschnittstelle als Partner für Sicherheits- und Risikofragen wahrgenommen werden müssen. Unternehmen, die Services anbieten, die sich an die individuelle Lebenssituation anpassen, werden sich in der Marktpositionierung durchsetzen.
Aufgrund der ESG-Richtlinie werden Versicherungsunternehmen in Zukunft mehr Informationen zur Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien an ihre Kunden weitergeben müssen. Auf Seiten der Versicherer sind verstärkte Investitionen in diesen Bereich zu erwarten. Nachhaltigkeit wird zu einem entscheidenden Faktor, wobei Leihen statt Kaufen und der Erwerb von refurbished Elektronikgeräten an Bedeutung gewinnen. Die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung für Shared-Mobility-Dienste liegt bereits bei knapp 80 Prozent. Die Idee des Teilens und Wiederverwendens erstreckt sich nicht nur auf Fahrzeuge, sondern auch auf Konsumgüter wie E-Bikes, Fahrräder, Elektronik und Sportgeräte und fördert den optimalen und umweltschonenden Ressourceneinsatz.
Eine neue Ära der Versicherungsbranche
In den letzten zehn Jahren haben InsurTechs einen bahnbrechenden Wandel in der Versicherungsbranche eingeleitet. Von belächelten Neulingen haben sie sich zu bedeutenden Akteuren entwickelt, die sowohl innovative Technologien einführen als auch die Zusammenarbeit zwischen etablierten Versicherern und aufstrebenden Tech-Unternehmen fördern. Inzwischen haben sich InsurTechs trotz regulatorischer Herausforderungen und bestehender Hürden als treibende Kraft für Fortschritt und Veränderung etabliert. Diesen Schwung gilt es mitzunehmen, denn die Zukunft der Versicherungsbranche wird von Integrationsmöglichkeiten und Partnerschaften geprägt sein. Der Markt wird sich weiterhin an individuellen Bedürfnissen, nachhaltigen Praktiken und technologischen Innovationen orientieren, wobei InsurTechs als Schlüsselakteure die nächste Ära gestalten werden.
Autorin Hanna Bachmann ist Mitgründerin und CRO von Hepster.