Das neue Jahrzehnt ist eine der disruptivsten Phasen für die Menschen und Wirtschaft seit langem. So sieht es auch der neue Global Risk Report 2023, den das World Economic Forum Anfang Januar vorstellte. Die Studie, die in Zusammenarbeit mit Marsh McLennan und Zurich Insurance Group erstellt wurde und sich auf die Perspektiven von über 1.200 globalen Risikoexperten und führenden Persönlichkeiten aus der Politik und Wirtschaft stützt, verheißt nichts Gutes für die kommenden zwei Jahre. Das Risiko einer Rezession, eine wachsende Verschuldung, eine anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten, eine weitere Polarisierung von Gesellschaften durch Des- und Fehlinformation, ein Stillstand bei dringenden Klimaschutzmaßnahmen und ein geoökonomischer Nullsummen-Krieg, seien die Folgerisiken, die Wirtschaft und Gesellschaft in den folgenden zwei Jahren dominieren dürften, so die Einschätzung. Insbesondere die Krise der Lebenshaltungskosten wird als eine der ganz großen Gefahren gesehen.
Welche Folgen die Entwicklungen für Deutschlands Unternehmen im Jahr 2023 haben werden, lässt sich nur schwer abschätzen. 2022 jedenfalls lag das Wirtschaftswachstum hierzulande noch bei 1,9 Prozent, trotz Ukraine-Krieg und teils zweistelligen Inflationsraten. Umfragen wie die des Kreditversicherer Atradius deuten jedoch an, dass nach einem Jahrzehnt des Wachstums die lange Zeit prosperierende Wirtschaft erstmals wieder in eine Rezession abzurutschen droht. „Deutsche Firmen stellen sich auf Rezession ein“, titelte am 29. Dezember Atradius seine letzte Pressemitteilung des Jahres 2022. Darin veröffentlichte der Warenkreditversicherer die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage.
Demnach rechnen 48 Prozent der befragten Firmen mit einer wirtschaftlichen Stagnation 2023. Immerhin 44 Prozent stellen sich auf eine Rezession ein. Zudem gehen rund 45 Prozent der Befragten davon aus, dass die Inflation auf dem Niveau verharren wird. 29 Prozent erwarten gar einen weiteren Anstieg.
Die Entwicklungen alarmieren auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Sie mahnt die Versicherer, die Dynamik der Inflationsentwicklungen zu beobachten. Insbesondere für die Schaden- und Unfallversicherung dürften die hohen Inflationsraten große Auswirkungen haben, befürchtet die Finanzaufsicht. Auch weil die Schadensinflation sich derzeit deutlich stärker als die monetär übliche Inflation entwickelt.
Das hat Folgen, auch für die Gewerbeversicherung. Bei vielen Verträgen dürften die Versicherungssummen für Maschinen oder Gebäude nicht mehr passen. Michael Neuhalfen, Leiter des Vertriebs der Alte Leipziger Allgemeinen, mahnt: „In der Sachversicherung – vor allem für Gebäude, Einrichtung, Vorräte – gibt es das sogenannte Vollwertprinzip. Kurz gesagt muss die Versicherungssumme in der Police mindestens dem Wiederbeschaffungswert im Schadenzeitpunkt entsprechen. Tut sie es nicht, greift die bekannte Unterversicherung und der Versicherungsnehmer erleidet Substanzverluste, da Schäden – unabhängig davon, ob es ein Teil- oder Totalschaden ist – nur noch reduziert entschädigt werden können.“
Die Wiederbeschaffungs- und Wiederherstellungskosten sind 2022 deutlich gestiegen. Lag die Inflationsrate des für die Gebäudeversicherung wichtigen Baupreisindex in den vergangenen sieben Jahren bei durchschnittlich 4,5 Prozent, kletterte sie im vergangenen Jahr auf 15 Prozent. Laut BaFin der stärkste Anstieg seit rund 50 Jahren. Auch die Haftpflichtschäden sind über einen längeren Zeitraum deutlich stärker gestiegen als die monetäre Inflation. Vor dem Hintergrund empfiehlt Neuhalfen den Vermittlerinnen und Vermittlern, aktiv auf Kunden zuzugehen und – wenn es nötig ist – die richtigen Anpassungsschritte vorzunehmen. „Das Ziel ist unverändert der optimale Versicherungsschutz, und da hat Unterversicherung keinen Platz. Die Situation zwingt alle Beteiligten zum Handeln“, so Neuhalfen.