Zeitenwende in der Altersvorsorge: Garantiezins sinkt auf 0,25 Prozent

„Es verstärkt sich der Trend, sich von den hohen Garantien zu lösen und mehr ins Risiko zu gehen und in Substanzwerte investieren“, zeigt sich denn auch Dr. Jürgen Bierbaum, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der ALH-Gruppe überzeugt. Hier den Rückschluss zu ziehen, dass sich die Lebensversicherung nicht mehr lohne, wäre allerdings ein Misserständnis, argumentiert der LV-Vorstand.

Das Signal muss sein, die Einstellung zu Garantie und Risiko zu überdenken. Das Umparken im Kopf findet laut Bierbaum bereits statt. „Wir haben in den letzten Jahren einen stetigen Zuwachs des Anteils und auch des absoluten Volumens des fondsgebundenen Geschäfts.“

Zwischen 2017 und 2020 hat der Versicherer das Fondsvolumen von 1,2 auf zwei Milliarden Euro ausgebaut. Bei fondsgebundenen Versicherungen, nicht bei den Fonds des internen Sicherungsvermögens. „Wir sehen im Neugeschäft, dass immer mehr fondsgebundene Produkte nachgefragt werden. Der Trend ist eindeutig erkennbar. Auch in der betrieblichen Altersvorsorge“, sagt Bierbaum.

Dr. Jürgen Bierbaum, Alte Leipziger, stellvertretender Vorstandsvorsitzender ALH-Gruppe

Auch dort findet ein starkes Umdenken statt. Sowohl bei den Vertriebspartnern als auch den Kunden. „Wir haben auch dort mittlerweile etliche fondsgebundene Verträge mit Garantien unterhalb des Bruttobeitragserhalts. Weil viele sehen, dass es die bessere Alternative ist. In der privaten Altersvorsorge verzichten bei der Alten Leipziger Leben mittlerweile fast alle Kunden teilweise auf Garantien.

Vor dem Hintergrund der Niedrigzinsen hatte sich die Alte Leipziger Leben 2017 zu einer grundlegenden Tarifreform entschlossen und klassische Produkt mit endfälligen Garantien eingeführt. Und aus einem Produkt zwei Produktlinien gemacht. Eines, wo man nur im allgemeinen Sicherungsvermögen investiert sei und eines mit flexibler Aufteilung der Beiträge auf sichere Anlage und Fonds. Inzwischen wählt im Privatgeschäft der ganz überwiegende Anteil das flexible Produkt. Dort kann der Kunde immer noch wechseln.

Das reine klassische Produkt spielt laut Bierbaum eher im Einmalbeitragsbereich eine Rolle. Gerade bei Kunden, die über ein gewisses Vermögen – Immobilien oder Aktien – verfügten. Für Kunden, die über freies Kapital verfügen, ist es immer noch die Möglichkeit, zu einem immer noch vergleichsweise hohen Zins Geld anzulegen. „Die Renditen hier liegen immer noch deutlich über null Prozent. Die, die sich gut mit Finanzen auskennen, finden es attraktiv“, sagt Bierbaum.

Es wird anspruchsvoller

Die Aussagen der Versicherungsunternehmen zeigen: Mit der Garantiezinssenkung zum 1. Januar 2022 wird die Beratung der Kunden in der privaten Altersvorsorge merklich anspruchsvoller. „Eine Altersvorsorge sollte grundsätzlich immer mit dem Risikoprofil des Vertragsinhabers abgestimmt sein. Produkte einfach einem bestimmten Kundenkreis pauschal zuzuschreiben, ist dabei nicht ganz so einfach, da eine Beraterin oder ein Berater individuell auf jeden einzelnen Kunden eingehen sollte und somit auch die aktuelle Lebenssituation sowie die Zukunftspläne des Kunden berücksichtigen sollte“, sagt Christine Schönteich, Mitglied der Geschäftsführung bei der Fonds Finanz.

Den heiligen Gral der Altersvorsorge gibt es aber nicht. Und welcher Kunde kennt schon seine Pläne für die Zukunft. Insofern stellt sich für Vermittler deutlicher denn je die Frage nach dem Alter des Kunden, seinem Sicherheitsbedürfnis und der Erwartungshaltung, wie viel Ertrag nach 30 oder 35 Jahren Laufzeit gewünscht sind.

„Je höher der Aktienanteil, desto besser. Insbesondere bei langen Laufzeiten kann vollständig auf Garantien verzichtet werden“

„Bei Produkten mit Garantien sind Unternehmenskennzahlen und bei klassisch orientierten Produkten die aktuelle Überschussdeklaration des Versicherers bei der Auswahl des Anbieters wichtig. Ebenso, dass der Versicherer ein professionelles Kapitalanlagemanagement vorweisen kann, damit auch zukünftig genügend Überschüsse generiert werden können. Weiterhin könnte auch der Tarifbestand bei der Auswahl eine Rolle spielen. Eine hohe Anzahl älterer Tarifgenerationen mit Garantieverzinsungen von bis zu vier Prozent können bedeuten, dass ein Großteil des Kapitals für die hohen Garantien gebunden werden muss. Somit wäre also letztendlich für chancenreiche Anlagen weniger Kapital frei“, gibt Ascore Analyse-Geschäftführerin Ludwig zu bedenken.

Ellen Ludwig, Ascore Analyse

Die Neue Klassik punkte gegenüber der Indexpolice mit der Stetigkeit von jährlichen Überschüssen, auch wenn diese nicht nicht üppig ausfallen. Die Indexpolice habe dafür bei ähnlich hoher Sicherheit einen höheren Spielraum für eine bessere Renditeerwartung, diese kann auch mal in einem Jahr eine Nullrunde bedeuten. „Fonds-Hybridpolicen bieten den Vorteil, dass sie bei der Wahl der Garantiehöhe flexibler sind und so der Garantiebaustein oder den Renditebaustein stärker gewichten kann. Gerade für die Altersvorsorge gilt der Grundsatz, nur so viel Garantie wie wirklich notwenig – denn Garantie „frisst“ Rendite und bei langfristigen Anlagen sollte man der Rendite den Vorzug geben“, sagt die Expertin.

Zustimmung kommt von IVFP-Mann Staffe: „Index- oder Neue Klassik-Tarife eignen sich aktuell nur für sehr sicherheitsorientierte Kunden oder für Kunden, denen nur noch wenig Zeit bis zum Rentenbeginn bleibt, als weniger als zehn Jahre.“ Vernünftige Renditen ließen sich in der Regel aktuell nur noch mit Aktieninvestments erzielen. Deshalb ist Staffe‘s Credo beim Thema Altersvorsorge auch eindeutig: „Je höher der Aktienanteil, desto besser. Insbesondere bei langen Laufzeiten kann vollständig auf Garantien verzichtet werden. Durch eine breite Diversifikation des Aktienportfolios und langen Laufzeiten lassen sich die Risiken minimieren.

Eine Vergangenheitsbetrachtung zeigt auf, dass bei einer Investition in ein weltweites Aktienportfolio bei einem Anlagehorizont von mehr als 15 Jahren immer positive Renditen erzielt wurden.“ Sicherheitskomponenten in Fondspolicen eigneten sich nur bedingt, wenn man eine angemessene Rendite erzielen wolle. „Bei kurzen Laufzeiten oder sehr risikoaversen Kunden können Garantien Sinn machen.“

Allerdings ließen sich heute 100 Prozent der Beiträge nur noch in sehr wenigen Produkten absichern. „Und die Rechnungszinssenkung zum Jahreswechsel wird den Wechsel weg von der 100-prozentigen Beitragsgarantie nochmals beschleunigen“, zeigt sich der Experte überzeugt. (Autor: Jörg Droste, Cash.)

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