Tiefe Zinsen, bis die Konjunktur in Euroland sich nachhaltig erholt, soweit die aktuelle Diktion der Notenbank. Daher ist für Deutschland, bezogen auf das Wirtschaftswachstum, das Zinsniveau viel zu niedrig.
Gastbeitrag von Robert Haselsteiner, Interhyp
In der Sitzung des Zentralbankrates vom 1. August hat der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi die Aussagen von Anfang Juli wiederholt, aber auch nicht näher konkretisiert. Tiefe Zinsen, bis die Konjunktur in Euroland sich nachhaltig erholt, soweit die aktuelle Diktion der Notenbank.
Eine Koppelung ihrer Entscheidungen an die Daten des Arbeitsmarktes oder an konkrete Ziele beim Wirtschaftswachstum, so wie das die US-Notenbank kommuniziert hat, wollen die Euroland-Wächter vorerst nicht eingehen.
Aber auch die EZB möchte in Zukunft die Protokolle ihrer monatlichen Sitzungen veröffentlichen und damit Einblick in den Diskussionsverlauf zwischen den Mitgliedern des Zentralbankrates geben. Ziel dieser Transparenz soll eine bessere Orientierung der Marktteilnehmer in Bezug auf den weiteren Verlauf der Zinsentwicklung sein. Damit rückt die EZB wieder einen Schritt näher an das Verhalten von politisch besetzten Notenbanken heran.
Auch die US-Notenbank pflegt seit vielen Jahren diese Transparenz und damit gilt es für die Analysten und Investoren, nicht nur den Tag der Notenbanksitzungen genau zu beobachten, sondern auch die Protokolle über die Sitzungen, die mit einer gewissen Zeitverzögerung veröffentlicht werden, genau zu lesen. Ob dies die Schwankungsanfälligkeit des US-Zinsmarktes wirklich reduziert hat, bleibt zu bezweifeln. Gerade der abrupte Zinsanstieg in den USA in den vergangenen drei Monaten zeigt, dass auch Protokolle Überraschungen nicht ausschließen.
Früher bestimmten Angebot und Nachfrage das Zinsniveau
Der starke Fokus der Notenbank-Präsidenten auf die Kontrolle über die Meinungsbildung an den Zinsmärkten hat allerdings einen tieferen Grund. Über Jahrzehnte haben sich die Zentralbanken darauf konzentriert, die Geldmarktzinsen, also die Zinskosten für ganz kurzfristiges Geld, festzulegen und damit die Liquidität des Banken- und Finanzsystems zu steuern.
Die Zinssätze für mittel- und längerfristige Zinsbindungen haben die Notenbanken nie direkt beeinflussen wollen oder auch können. Vielmehr haben sich diese Zinssätze über Angebot und Nachfrage gebildet. Das Angebot wurde dabei vor allem vom Finanzierungsbedarf der Staaten bestimmt, da der Markt für Staatsanleihen in der Regel der größte und wichtigste Markt war, an dem sich die anderen Segmente wie Hypothekenanleihen, Bankenanleihen oder Unternehmensanleihen orientiert haben. Die Staaten hatten im Regelfall die beste Bonität und daher die tieferen Zinssätze. Alle anderen Schuldner mussten mehr oder weniger hohe Aufschläge anbieten, um Investoren zum Kauf zu bewegen.
Die Nachfrage der Investoren nach längerfristigen Zinsprodukten wurde vor allem von den Erwartungen über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung und die Inflationserwartungen bestimmt. Waren also die langfristigen Zinsen hoch und die Investoren erwarteten sinkende Inflation und schwächeres Wirtschaftswachstum, so stieg die Nachfrage und die Kurse für bestehende Anleihen gingen nach oben, was dann eben zu tieferen Langfristzinsen geführt hat – oder: vice versa.
Notenbank und Politik beeinflussen heute den Markt
Heute leben wir in einer anderen Welt. Die Notenbanken nehmen direkten Einfluss auf die Preisbildung bei den langfristigen Zinsen und haben Nachfrage und Angebot längst ausgehebelt. Das passiert, so wie in den USA, einerseits durch massive direkte Aufkäufe von Staatsanleihen oder auch Hypothekenanleihen. Kann aber auch, so wie in Euroland, durch eine extrem formulierte Rhetorik passieren. Wenn also Mario Draghi sagt, dass die EZB „alles denkbar notwendige tun wird, um den Euro zusammenzuhalten“, wird es von den Investoren so interpretiert, dass er im Notfall massiv Staatsanleihen schwacher Länder aufkaufen wird.
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