Zocker-Irrsinn

Jörg Wiechmann vor Bulle und Bär an der Frankfurter Börse
Foto: IAC
Jörg Wiechmann, Geschäftsführer Itzehoer Aktien-Club

In einer kleinen Nische des Aktienmarktes findet derzeit eine irre Zockerei statt, wie man sie selbst zu besten Zeiten des Neuen Marktes nicht gesehen hat. Getrieben wird das Geschehen von den „jungen Wilden“. Ein Kommentar von Jörg Wiechmann, Geschäftsführer des Itzehoer Aktien Club

Gemeint ist die Anleger-Gruppe im Alter von zumeist noch unter 30, die seit dem Frühjahr 2020 vermutlich auch aus Lockdown-Langeweile in Scharen an die Börse geströmt ist. Die meisten von ihnen in den USA, wo zudem neue Trading-Apps wie Robinhood & Co. es den digital-affinen Börsen-Neulingen ermöglichen, ihre Aktiengeschäfte ganz einfach per Wisch übers Smartphone zu tätigen.

Mal kurz zwischen Twitter, Instagram und dem neusten Tinder-Date. Das Ganze noch dazu vollkommen gebührenfrei. So zumindest versprechen es die Trading-Apps.

Dass das natürlich nicht stimmen kann, weil nun einmal jedes Unternehmen, auch ein Smartphone-Broker, Geld verdienen muss, versteht sich von selbst. So kassieren Robinhood & Co. die Nachwuchsbörsianer lediglich hinten herum über Provisionen ab. Und das laut Dokumenten der US-Börsenaufsicht SEC recht üppig im dreistelligen Millionenbereich. Aber das nur am Rande.

Irre Kurskapriolen und ein Selbstmord

Viel interessanter sind die Kurskapriolen, die die jungen Wilden durch ihre Zockerei am Smartphone in bestimmten Aktien auslösen. Beispiel Tesla: Dass der Autobauer des Unternehmer-Genies Elon Musk dem Elektroantrieb weltweit zum Durchbruch verholfen hat, steht außer Frage. Dass Tesla deswegen verdient zur Kultmarke wurde und sicher zahlreiche Model S, Y oder X-Fahrer Stein und Bein auf ihren Tesla schwören auch.

Aber dass die Aktie des Autobauers deswegen allein in den letzten 10 Monaten gleich um den Faktor 10 in stratosphärische Höhen katapultiert worden ist, scheint auch der Zockerei der jungen Wilden geschuldet. Älteren Börsenhasen wird jedenfalls kaum einleuchten, warum der E-Auto-Pionier mittlerweile wertvoller sein sollte als die zehn größten Autobauer der Welt zusammen, namentlich Toyota, VW, Daimler, General Motors, BMW, Honda, Ferrari, Ford, Fiat Chrysler und Peugeot. Allemal, da die 10 weltgrößten Autokonzerne in Summe rund 50mal so viel Umsatz und Gewinn machen wie Tesla.

Doch die Zockerei der jungen Wilden geht noch irrwitziger: Mit von der Partie auch hier wieder Tesla-Chef Elon Musk. Dem missfiel offenbar Anfang Januar, dass der zu unserem Qualitätsunternehmen Facebook gehörende Messenger WhatsApp seine Datenschutzregeln anpassen will. Musk empfahl daher per Twitter, zukünftig einen anderen Messengerdienst namens „Signal“ zu nutzen. Die jungen Wilden, viele von ihnen scheinbar Twitter-Follower von Musk, trieben daraufhin die „Signal“-Aktie innerhalb weniger Tage zu einer sagenhaften Verhundertfachung im Kurs.

Dummerweise gab es da aber eine kleine Verwechslung. Bei der Signal-Aktie handelt es sich nämlich um einen Medizintechnik-Hersteller, der mit dem von Musk empfohlenen Messengerdienst rein gar nichts gemein hat – außer zufällig den selben Namen. Der von Musk empfohlene Messenger Signal hingegen ist gar nicht an der Börse notiert und daher nicht investierbar. Als der Irrtum aufflog, brach die Signal-Aktie zusammen. Die jungen Wilden, die irrtümlich und zu spät auf den Zug aufgesprungen waren, verloren in wenigen Tagen bis zu 90%.

Es ließe sich eine ganze Reihe weiterer irrer Zockereien aufzählen, zuletzt beispielsweise in der Gamestop-Aktie. Wie brandgefährlich das ist, zeigt nicht nur der Blick 20 Jahre zurück an den Neuen Markt, wo Anleger in ähnlicher Euphorie am Ende 98% und damit quasi einen Totalverlust erlitten haben.

Bereits vor einigen Monaten forderte die Zockerei der jungen Wilden ein tragisches Opfer: Ein 20-jähriger Robinhood-Trader beging Selbstmord, nachdem er beim Handel mit Optionen per Wisch über sein Smartphone einen Verlust von 730.000 Dollar erlitten hatte. Zumindest glaubte er das. Wie sich später herausstellte, war der Trade nämlich noch gar nicht ausgeführt, was dem Trader aber in der App nicht ersichtlich war.

Fazit

Offenbar muss sich jede Anleger-Generation an der Börse höchstselbst die Finger verbrennen. Zwar ist die irre Zockerei und der am Ende regelmäßig daraus resultierende hohe Verluste für junge Anleger schmerzlich, im Normallfall jedoch kein Weltuntergang. Schließlich verlieren sie zwar Geld, gewinnen aber an Erfahrung.

Und die kann für sie in ihrem restlichen Anlegerleben noch einen hohen Wert haben. Außerdem halten sich die Höhe der Ersparnisse und damit die möglichen Verluste von Jung-Börsianern üblicherweise in Grenzen. So ist bspw. ein Verlust von 10. 000 Euro für einen 25-Jährigen angesichts eines noch zu erwartenden restlichen Lebenseinkommens von rund 2 Millionen Euro genau genommen ein Tropfen auf den heißen Stein (Berechnung: 40 Jahre Rest-Lebensarbeitszeit mal 50 TEUR Jahreseinkommen = 2 Mio. Euro).

Völlig anders die Situation für ältere Investoren: Deren zukünftig noch zu erwartenden Lebenseinkünfte beschränken sich häufig auf die Rente. Dafür verfügen sie jedoch über hohe Ersparnisse aus ihrem bereits zurückliegenden Arbeitsleben.

Umso wichtiger, dieses über Jahrzehnte sauer ersparte Geld nicht leichtfertig zu verzocken. Im IAC handeln wir darum bereits seit unserer Gründung 1998 nach dem Motto „Zocken verboten!“. Schon damals haben wir einen großen Bogen um den Neuen Markt gemacht und werden uns auch diesmal definitiv nicht an der irren Zockerei der jungen Wilden beteiligen.

Bereits Börsenaltmeister André Kostolany wusste schließlich: „Es gibt alte Piloten und es gibt kühne Piloten. Aber es gibt keine alten kühnen Piloten“.

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