Die Frage der Scheinselbständigkeit betrifft viele Versicherungsvertreter. Formal betrachtet sind diese zwar meist als Handelsvertreter nach § 84 HGB beschäftigt, tatsächlich liegt jedoch oftmals ein Angestelltenverhältnis vor. Gastbeitrag von Maike Ludewig, Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Handelsvertretertätigkeit oder ein Angestelltenverhältnis vorliegt, kommt es nicht so sehr auf die rechtliche Ausgestaltung des Vertrages (zum Beispiel dessen Bezeichnung als „Handelsvertretervertrag“) an, sondern richtet sich laut Oberlandesgericht (OLG) München (Beschluss vom 20. März 2014 – 7 W 315/14) nach dem Gesamtbild der vertraglichen Vereinbarung und der tatsächlichen Handhabung, der praktischen und tatsächlichen Vertragsdurchführung.
„Auch wenn der Dienstverpflichtete Ort, Zeit und Art der Tätigkeit weitgehend selbst bestimmen kann und nach dem Vertrag als Vergütung Provisionen für vermittelte Verträge zu leisten sind, kann die gelebte Vertragswirklichkeit (unter anderem geschuldete Erreichbarkeit, Mitteilungspflichten über Abwesenheitszeiten, Wahrnehmung handelsvertretertypischer Aufgaben, fehlende Abrechnung über Provisionen und „Provisionsvorschüsse“ durch Unternehmer während der gesamten Vertragslaufzeit, Provisionsrechnung ohne Ausweis der Mehrwertsteuer) gegen eine selbstständige Tätigkeit und für eine wirtschaftliche Unselbstständigkeit sprechen, mit der Folge, dass für Rechtsstreitigkeiten hieraus die Arbeitsgerichte zuständig sind.“
Das tägliche Arbeitsleben ist ausschlaggebend
Wird der Beschäftigte faktisch in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingebunden, so wie dies üblicher Weise bei Angestellten der Fall ist, so spricht dies für eine unselbstständige Tätigkeit des Beschäftigten. Ausschlaggebend für die Art der jeweiligen Beschäftigung ist demnach auch „das tägliche Arbeitsleben“ des Beschäftigten. Wird er behandelt wie ein Angestellter, so ist er auch oft einer.
Im hier verhandelten Fall hat der Arbeitgeber eine vertraglich geschuldete vierteljährliche Provisionsabrechnung nicht vorgenommen. Die Abrechnung mit den gezahlten Provisionsvorschüssen erfolgte erst bei Vertragsbeendigung. Bezüglich dieser Rückforderungsmöglichkeiten enthielt hier der Vertrag keine Vereinbarung. All dies sprach gegen eine wirtschaftliche Selbstständigkeit des Beschäftigten und ließ ein (für eine Selbstständigkeit gefordertes) Unternehmerrisiko nicht erkennen.
Bei Kündigung können Versicherungsvertreter auf Weiterbeschäftigung hoffen
Gerade Versicherungsvertreter haben daher oftmals gute Chancen als Angestellte eingestuft zu werden – gerade wenn Sie zum Beispiel infolge von Bürokostenzuschüssen, Orga-Zuschüssen und Aufbauhilfen kaum ein wirtschaftliches Risiko tragen. Im Kündigungsfall können Versicherungsvertreter daher oftmals auf eine Weiterbeschäftigung hoffen. Dem Versicherer drohen hingegen empfindliche Nachzahlungen in die Sozialversicherungskassen. Durch das Betreiben eines Statusfeststellungsverfahrens kann seitens des Versicherungsvertreters auch durchaus ein erheblicher Verhandlungsdruck erzeugt werden.
Gleichwohl sollte natürlich stets abgewogen werden, auf welchen Standpunkt sich der Handelsvertreter/Scheinselbständige stellen möchte. Auch die Einstufung als Handelsvertreter kann durchaus Vorteile bringen, zum Beispiel einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB. Frühestmöglich sollten sich daher Betroffene an eine im Arbeitsrecht und Vertriebsrecht gleichermaßen spezialisierte Anwaltskanzlei wenden, um zu erörtern, welche rechtliche Argumentation im Einzelfall zielführend ist.
Autorin Maike Ludewig ist Rechtsanwältin in der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.
Weitere Informationen zur Autorin erhalten Sie hier.
Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte