BGH stellt Grundsätze zur Vertriebshaftung auf den Kopf

Zwei neue Leitsatzurteile des BGH entlasten den Vertrieb geschlossener Fonds und dürften für eine Vielzahl von Haftungsprozessen relevant sein. Es geht um die Prospektübergabe, Provisionen und Private-Equity-Dachfonds. Doch es gibt auch einen Pferdefuß.

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Dem Vertrieb kann kein Strick daraus gedreht werden, wenn auch er „mit zumutbaren Mitteln“ keine Nachweise zur Prospektübergabe erlangen kann, entschied der BGH unter anderem.

Beide Urteile hat der Bundesgerichtshof (BGH) gestern veröffentlicht. Vor allem die Entscheidung zur Beweislage hinsichtlich der Prospektübergabe dürfte viele Verfahren auf den Kopf stellen, in denen Anleger die übliche Behauptung vortragen, sie hätten den Prospekt nicht oder nicht rechtzeitig erhalten.

Diese Frage ist häufig Streitpunkt in Haftungsprozessen. Nun stellt der BGH klar: Der Vertrieb ist nicht in jedem Fall schadenersatzpflichtig, nur weil er die Prospektübergabe nicht nachweisen kann.

Vielmehr kann ihm daraus kein Strick gedreht werden, wenn auch der Vertrieb Informationen zur Prospektübergabe nicht „mit zumutbaren Mitteln“ in Erfahrung bringen kann. Ist nur der Zeitpunkt – aber nicht die Prospektübergabe selbst – strittig oder unbekannt, trägt der Vertrieb überhaupt keine Darlegungslast (III ZR 565/16).

Schiffsfonds aus dem Jahr 2007

In dem entschiedenen Fall geht es um einen Schiffsfonds aus dem Jahr 2007. Die beklagte Vertriebsgesellschaft kannte das Datum der Prospektübergabe nicht (oder hatte das jedenfalls behauptet), der betreffende freie Finanzdienstleister ist aber nicht mehr für sie tätig und hatte auf mehrmalige Anfrage nicht reagiert.

Ein darüber hinausgehendes Vorgehen sei der Beklagten nicht zumutbar, so der BGH. Es ist also nicht notwendig. Der Anleger hat das Nachsehen, da er grundsätzlich zum Nachweis der Pflichtverletzung des Vertriebs verpflichtet ist.

Der Vertrieb muss den Vorwurf allerdings „substantiiert bestreiten“, was bislang in der Regel nur durch den Nachweis der rechtzeitigen Prospektübergabe möglich war und zu einer faktischen Beweislastumkehr führte. Der Vertrieb kann den Vorwurf aber nach entsprechenden, vergeblichen Aufklärungsbemühungen auch mit „Nichtwissen“ bestreiten, entschied der BGH nun.

Doch nicht nur das: Der Grundsatz gilt offenbar generell, soweit die Anleger und ihre Anwälte die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten des Vertriebs behaupten, sich das Beratungsgespräch aber nicht mehr rekonstruieren lässt.

Prospekterhalt trotz Bestätigung bestritten

Zudem hatte der Kläger auf dem Zeichnungsschein den Erhalt des Prospekts (ohne Datum) bestätigt, im Prozess aber behauptet, ihn überhaupt nicht bekommen zu haben.

Auch dieser Umstand, der in einer Vielzahl von Haftungsfällen ähnlich gelagert sein dürfte, könne nicht unberücksichtigt bleiben, so der BGH. Hat der Anleger den Prospekt tatsächlich erhalten und ist nur das Datum unklar, muss der Vertrieb den Vorwurf noch nicht einmal „substantiiert bestreiten“, entschied das Gericht. Der BGH verwies das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und Beurteilung zurück an das OLG Celle, das den Vertrieb noch zum Schadenersatz verdonnert hatte.

Daneben stellt der BGH in dem Urteil einen neuen Leitsatz zu der Berechnung der Grenze auf, ab der die Provision auch im freien Vertrieb aufklärungspflichtig war, schon bevor die generelle gesetzliche Verpflichtung dazu eingeführt wurde.

Seite 2: 15 Prozent wovon?

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