Das Geschäftsjahr 2021 stand für die deutschen Finanzvertriebe – wie schon das Vorjahr – ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Die Kontaktbeschränkungen, die fast das ganze Jahr über in verschiedenen Ausprägungen galten, machten den persönlichen Kontakt mit Kundinnen und Kunden schwer bis unmöglich. Positive Signale kamen dafür aus Berlin: Die neue Ampel-Koalition meinte es gut mit der Branche und sah von einem Provisionsdeckel für Lebensversicherungen und von einer BaFin-Aufsicht über Finanzanlagenvermittler ab.
Ein wichtiger Gradmesser, um Stimmungen und Trends in der Branche zu erfassen, ist die Hitliste der Finanzvertriebe, die Cash. einmal jährlich veröffentlicht. Die wichtigsten Erkenntnisse der diesjährigen Erhebung: Für die deutliche Mehrzahl der von Cash. exklusiv befragten Unternehmen verlief das Jahr 2021 positiv. Insgesamt konnten 86 Prozent der Unternehmen ihre Provisionserlöse steigern. Bei einigen Vertrieben (sechs Allfinanzvertriebe, zwei Spezialvertriebe) wurde das Wachstum im Vergleich zum Vorjahr allerdings gebremst.
Hier finden Sie alle Ergebnisse in der tabellarischen Übersicht
Das Spitzentrio aus den Vorjahren konnte seine Plätze auch in diesem Jahr verteidigen. Mit deutlichem Abstand belegt die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) den ersten Platz bei den Allfinanzvertrieben. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Provisionserlöse um 13,06 Prozent auf über 2,2 Milliarden Euro (Wachstum im Vorjahr: 5,91 Prozent) – damit knackte die DVAG wie erwartet erstmals die Zwei-Milliarden-Marke. „Die Deutsche Vermögensberatung hat ihre Ergebnisse seit Unternehmensgründung kontinuierlich gesteigert und allein in den letzten sieben Jahren ein Rekordjahr nach dem anderen erarbeitet. Das zeigt: Unser Geschäftsmodell ist krisensicher, flexibel und zukunftsorientiert“, so Robert Peil, Mitglied des Vorstands und verantwortlich für die Koordination der Vertriebsbereiche, Marketing und Veranstaltungen. Gerade in diesen herausfordernden Zeiten sei der Beratungsbedarf enorm hoch. „Das führt dazu, dass der Beruf des Vermögensberaters gefragter denn je ist“, so Peil.
Über eine Milliarde Euro Differenz liegt zwischen Platz ein und Platz zwei: Beim Wieslocher Finanzdienstleister MLP stiegen die Provisionserlöse um 22,48 Prozent auf 894,6 Millionen Euro (Wachstum im Vorjahr: 8,55 Prozent). „Die MLP Gruppe hat im Geschäftsjahr 2021 bei allen wesentlichen Kennziffern stark zugelegt und ist auch über sämtliche Konzernunternehmen gewachsen. Es wird einmal mehr deutlich, dass wir uns eine einmalige Position erarbeitet haben. Dies gilt für die Betreuung von Privat- und Firmenkunden gleichermaßen“, kommentiert Vertriebsvorstand Oliver Liebermann das Ergebnis. Hier wie dort brauche es den sehr gut qualifizierten persönlichen Kundenberater – im Zusammenspiel mit moderner Technik und Expertenunterstützung im Backoffice. „Professionelle Finanzberatung wird in diesem Sinne immer arbeitsteiliger, damit Kundinnen und Kunden ein passgenaues Leistungsangebot erhalten. Wir sind sehr gut ins laufende Jahr gestartet, in dem wir aber eine Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Belastungen infolge des Kriegs in der Ukraine sowie der hohen Inflation beobachten.“
Königswege GmbH mit höchster Wachstumsrate
Auf Platz drei landet – ebenfalls wie im Vorjahr – die Swiss Life Deutschland Holding. Die Provisionserlöse stiegen um 23,34 Prozent auf 674,4 Millionen Euro (Wachstum im Vorjahr: 19,96 Prozent). „Ein Grund für unser Wachstum ist unser junges Team mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren, das einen direkten Zugang zu den Lebenswelten unserer jüngeren Kundschaft hat“, interpretiert Dr. Matthias Wald, Leiter Vertrieb und Mitglied der Geschäftsführung, die Zahlen. Außerdem habe die Politik immer noch kein überzeugendes Vorsorgekonzept zur Lösung der Herausforderungen der demografischen Entwicklung präsentiert. Damit bleibe der Bedarf an privater Vorsorge und an einer qualitativ hochwertigen persönlichen Beratung weiterhin hoch. „Hinzu kommen die hohe Inflation und die Verunsicherung durch den Ukraine-Krieg. Der Vermittlerschaft kommt deshalb mehr denn je die gesellschaftlich relevante Aufgabe zu, den Menschen Zuversicht zu spenden und konkrete Perspektiven aufzuzeigen, wie sie für ein selbstbestimmtes Leben vorsorgen können“, betont Wald.
Die höchste Wachstumsrate erzielte erneut die Königswege GmbH aus Heidelberg, die 2021 erstmals in der Hitliste vertreten war und die Provisionserlöse im Vergleich zum Vorjahr um 85,90 Prozent auf 17,64 Millionen Euro steigern konnte. „Nach einem starken Jahr 2020 galt es 2021, unsere Performance zu bestätigen. Das ist uns gelungen. Wir haben Geschäftsbereiche wie Depotgeschäft, Finanzierungen und Kapitalanlageimmobilien ausgebaut und uns für Zukunft gut aufgestellt. Wir haben die Marke Königswege am Markt etabliert und konzentrieren uns weiter auf den Ausbau unseres Netzwerkes. 2022 steht unter dem Motto, das Unternehmen und die Dienstleistung auf ein ganz neues Niveau zu heben“, kündigt Geschäftsführer Stefan Gierschke an.
16 Allfinanzvertrieben gelang es 2021, zweistellige Wachstumsraten bei den Provisionserlösen zu erzielen – 2020 waren es nur 9. Besonders deutlich fiel die Steigerung bei der EFC AG aus Mannheim aus (plus 38,99 Prozent auf 16,54 Millionen Euro, nach plus 6,25 Prozent im Vorjahr). „Den Fokus auf die Beratungsqualität zu legen, zahlt sich aus. Eine klassische Win-Win-Situation für Mandanten und Berater. Unsere Financial Planner erreichen Pro-Kopf-Umsätze, die weit über dem Marktdurchschnitt liegen“, so Vorstand Marc Stöhr. Man sehe sich als eines der anerkanntesten Beratungsunternehmen im Bereich der gehobenen Klientel. Zu den Gewinnern zählt mit einem Zuwachs um 29,53 Prozent (Vorjahr: 28,16 Prozent) auf 6,17 Millionen Euro auch die Deutsche Beratungsgesellschaft für Finanzplanung (DBFP) aus Stuttgart. „Nachdem wir im letzten Jahr das zweite Rekordjahr in Folge hatten, werden wir im laufenden Jahr unsere Provisionserlöse auf hohem Niveau halten“, erwartet Geschäftsführer Ralf Reiniger.
Nur drei Allfinanzvertriebe mussten 2021 rückläufige Provisionserlöse hinnehmen, 2020 waren es noch neun. Dazu gehört die Profundo GmbH aus Stuttgart mit einem Rückgang um 15,45 Prozent auf 1,04 Millionen Euro (Vorjahr: Steigerung um 21,78 Prozent). Geschäftsführer Patrik Vallejo scheint dennoch nicht unzufrieden zu sein: „Es ist nicht schwierig, in einer guten Marktsituation gute Geschäfte zu machen. Es ist jedoch eine Leistung, in einer schlechten Marktsituation gute Geschäfte zu machen“, kommentiert er das Ergebnis. Die Zahl der Häuser, die an der Umfrage teilgenommen und Zahlen an Cash. gemeldet haben, ist im Vergleich zum Vorjahr leicht von 28 auf 31 gestiegen. Neu dabei ist die FI Procept AG aus dem bayrischen Dittelbrunn, die im letzten Jahr neu gegründet wurde – mit Provisionserlösen in Höhe von 1,07 Millionen Euro. „Das Gründungsjahr 2021 war geprägt von Aufbauarbeit und Investitionen“, erklärt Gregor Langer, Mitglied der Geschäftsleitung. „Unser Schwerpunkt lag im letzten Quartal auf dem Bereich Altersvorsorge, vor allem geprägt durch die Rechnungszinssenkung, sowie dem Bereich der Kapitalanlage. Bedingt durch die weltpolitischen Ereignisse in 2022 stellen wir fest, dass unsere Kunden sichere Formen der Geldanlage suchen. Demzufolge werden wir 2022 verstärkt Umsätze im Bereich Kapitalanlage, Einmalanlagengeschäft und Altersvorsorge sehen.“
Interhyp bei den Spezialvertrieben vorn
Bei den in einer gesonderten Tabelle dargestellten Spezialvertrieben blieb die Teilnehmerzahl konstant bei sechs Unternehmen. Die auf Baufinanzierung spezialisierte Interhyp Gruppe erzielte dort mit 561,60 Millionen Euro die höchsten Provisionserlöse, ein Plus von 14,36 Prozent (Wachstum im Vorjahr: 15,34 Prozent). „Die aktuelle Top-Platzierung ist uns besonders wichtig. Auch im zweiten Corona-Jahr hat sich unser Geschäftsmodell bewährt: Die Mischung aus persönlicher Beratung und digitalen Angeboten ganz nach Wunsch der jeweiligen Kundinnen und Kunden zahlt sich aus. 2021 hat die Interhyp Gruppe das abgeschlossene Finanzierungsvolumen um 19 Prozent gesteigert und einen neuen Rekordwert von 34,2 Milliarden Euro erreicht. Das entspricht 129.000 erfolgreich abgeschlossenen Finanzierungen“, so CEO Jörg Utecht.
Auf dem zweiten Platz landet die auf Immobilien und Baufinanzierung spezialisierte Postbank Finanzberatung – trotz eines Minus von 11,16 Prozent auf 250,7 Millionen Euro (Wachstum im Vorjahr: 4,67 Prozent), den dritten Rang belegt die auf Investmentfonds spezialisierte Ascent AG mit einem Wachstum um 11,82 Prozent auf 14,77 Millionen Euro (Wachstum im Vorjahr: 6,95 Prozent). „Nach dem Abklingen der Coronakrise hat der Ukraine-Krieg zu vielen Verwerfungen geführt. Auch im Fondsmarkt sehen wir eine höhere Volatilität und neue Anlagethemen. Wir schließen trotzdem an unsere hervorragenden Umsätze vom Vorjahr an und halten am Expansionskurs fest“, kündigt Vorstandschef Rainer Thibaut an.
Die auf Sachwertanlagen spezialisierte OFG Ohrmundt GmbH aus Weinheim musste im letzten Jahr ein Minus von 34,58 Prozent auf 0,51 Millionen Euro hinnehmen (Vorjahr: Wachstum um 19,61 Prozent). Ein ausschlaggebender Grund hierfür war laut Geschäftsführer Holger Lies die Produktknappheit: „Von uns bevorzugte Anbieter hatten im letzten Jahr teilweise kein Produkt im Vertrieb oder nur für kurze Zeiträume. Dazu kamen zeitliche Verschiebungen bei geplanten Fondsauflösungen, so dass sich die Wiederanlagen der Gelder erst im Jahr 2022 niederschlagen werden. Die teilweise deutlich gestiegenen Kaufpreise im Immobilienmarkt machen es zunehmend schwieriger, risikogerechte Renditen zu erzielen. Da die Kaufpreise nicht mehr ganz so stark steigen wie in den vergangenen Jahren bekommen Anbieter, die auf weiter drastisch steigende Preise gesetzt haben, zunehmend Probleme.“ Corona habe sich insbesondere auf den Verkehrs- und Hotelsektor ausgewirkt, dort zeichnen sich laut Lies allerdings erste Erholungen ab.
„Bleibt zu hoffen, dass das Phänomen Long-Covid, also die längerfristigen gesundheitlichen Schäden einer Covid-19-Erkrankung, nicht im übertragenen Sinne auch die Finanzdienstleistungsbranche trifft, die wirtschaftlichen Verwerfungen also mit zeitlichem Abstand auch bei den Finanzvertrieben ankommen“, schrieb Cash. im letzten Jahr an dieser Stelle. Diese Hoffnung scheint sich zu erfüllen: Von „Long-Covid“ ist bei den deutschen Finanzvertrieben nichts zu spüren, im Vergleich mit anderen Branchen sind sie gut durch das zweite Corona-Jahr gekommen. Dennoch sind die Unternehmen nicht mehr ganz so zuversichtlich wie noch im Vorjahr: Auf die Frage, wie sich die Provisionserlöse im Jahr 2022 entwickeln werden, antworteten nur 53 Prozent der befragten Vorstände und Geschäftsführer, dass sie mit weiter steigenden Erlösen rechnen – im letzten Jahr waren es noch 71 Prozent. An der weltpolitischen Lage – dem Krieg in der Ukraine und seinen wirtschaftlichen Folgen – scheint das jedenfalls nicht zu liegen: 70 Prozent der Befragten erwarten keine Auswirkungen des Krieges auf das laufende Geschäftsjahr.
Kim Brodtmann, Cash.