Der BGH erhöht mit seinem Urteil zum Wiederaufleben der Einlageverpflichtung abermals die Haftungsrisiken für Berater geschlossener Fonds. Die Entscheidung der Richter kommt mit erheblicher Rückwirkung. Braucht der Vertrieb hellseherische Fähigkeiten?
Text: Stefan Löwer
Das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Beraterhaftung verschärft einmal mehr rückwirkend die Anforderungen an Anlagerater. Sie müssen den Anleger ungefragt darüber aufklären, dass die Einlageverpflichtung durch Ausschüttungen wieder aufleben kann (Aktenzeichen III ZR 203/09).
Den betreffenden Finanzdienstleister holt damit unter Umständen ein Abschluss aus dem Jahr 1992 (!) wieder ein und unzählige Beratungsvorgänge der vergangenen Jahre stehen im Nachhinein auf ebenso tönernen Füßen. Denn die Aufklärung kann laut BGH nur dann entfallen, „wenn die entsprechende Belehrung im Anlageprospekt enthalten ist und der Berater davon ausgehen kann, dass der Kunde diesen gelesen und verstanden hat (…).“
Rechtzeitige Prospektübergabe allein reicht nicht
Selbst dann, wenn der Prospekt dem Anleger einige Tage oder sogar Wochen vor der Unterschrift unter den Zeichnungsschein übergeben wurde und er einen entsprechenden Risikohinweis enthält, bleibt also eine enorme Unsicherheit für den Berater. Er muss – nachweislich (!) – davon ausgehen können, dass der Kunde den Prospekt gelesen und in diesem Punkt verstanden hat. Hat der Anleger auf die Lektüre verzichtet, kann ihm das nicht zum Vorwurf gemacht werden, entschied der BGH unlängst in einem viel beachteten Urteil (Aktenzeichen: III ZR 203/09 vom 8. Juli 2010).
Die aktuelle Entscheidung, bei der es hauptsächlich um Verjährung und die Intensität der nachträglichen Prospektlektüre beim Auftreten von Problemen geht, sei eine „Fortführung“ jenes Urteils, so das Gericht. Anders als der Richterspruch vom 8. Juli dreht sie sich jedoch nicht darum, dass der Berater einen Sachverhalt abweichend vom Prospekt dargestellt hatte. Vielmehr muss der Berater offenbar generell und ungefragt über das Risiko des Wiederauflebens der Haftung aufklären. Die Brisanz der aktuellen Entscheidung ist insofern noch weitaus höher.
BGH: „Detailfülle“ verhindert Prospektlektüre
Die Urteile lassen darauf schließen, dass der BGH es für den Anleger vor allem nicht für zumutbar hält, den gesamten Prospekt durchzuarbeiten, dessen „Detailfülle, angereichert mit volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken, viele Anleger von einer näheren Lektüre abhält“. Dabei stuft das Gericht in dem jüngsten Fall bereits den 56 Seiten umfassenden Prospekt aus dem Jahr 1992 als „sehr umfangreich“ ein. Heutzutage haben die meisten Prospekte mehr als 100, nicht wenige über 200 Seiten.