Integrationsbedarf und Wohnungsmangel stellen Metropolen vor große Herausforderungen. Dr. Rainer Braun von Empirica erklärt, warum man Flüchtlingsfamilien in Leerstandsregionen unterbringen sollte.
Cash.: In Ihrer Studie „Familien aufs Land“ gehen Sie von einem zusätzlichen Bedarf von 320.000 Wohnungen aus. Können Sie vereinfacht das Verfahren beschreiben, mit dem Sie diese Größe geschätzt haben?
Braun: Also erstens, wir wissen natürlich auch nicht genau, wer da kommt. Wir machen Plausibilitätsannahmen, weil es keine Erhebungen dazu gibt, was für Haushaltstypen zuwandern. Es gibt nur Angaben über Alter und Geschlecht sowie bei Minderjährigen, ob sie begleitet oder unbegleitet sind. Mittlerweile gibt es neuere Zahlen, demnach kommen noch mehr Familien als am Anfang. Um den Wohnungsbedarf zu schätzen, legen wir eine amtliche Bevölkerungsprognose zugrunde und leiten daraus eine eigene Haushaltsprognose ab, indem wir regionaltypische Haushaltgrößen unterstellen. Aus dieser Haushaltsprognose erstellen wir eine Wohnungsnachfrageprognose. Und in einem dritten Schritt spalten wir die Wohnungsnachfrage auf in die Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern einerseits, und Mehrfamilienhäusern auf der anderen Seite.
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Sie gehen davon aus, dass zwei Drittel der Flüchtlinge Familien sind. Warum sollte man diese Familien in ländlichen Regionen unterbringen?
Der Vorteil von Familien ist, dass sie Kinder haben. Und wir sind der Meinung, dass sich über die Kinder Integrationsansätze ergeben. Und zwar deswegen, weil Kinder weniger kontaktscheu sind. Dadurch lernen sich früher oder später auch die Eltern kennen. Insbesondere aber sehen wir den Vorteil, dass man in kleinen Städten oder Dörfern ohnehin eher in Kontakt kommt mit der deutschen Bevölkerung, weil jeder jeden kennt. Integration ist einfacher möglich, weil man sich nicht aus dem Weg gehen kann. Außerdem ist in den ländlichen Regionen die Alterung schon überdurchschnittlich weit vorangegangen. Das heißt, es gibt sehr viele Alte, und die würden sich auch freuen, wenn es mal wieder jemanden gäbe, der den Rasen mäht oder Einkäufe erledigt. Da würden sich auch viele einfache Tätigkeiten ergeben, die man ohne größeren Ausbildungshintergrund machen könnte. Das ist der große Vorteil. Und der allergrößte Vorteil ist, dass wir in den ländlichen Regionen viele Wohnungsleerstände haben.
Im Moment sieht es ja eher so aus, dass die Flüchtlinge auch in die Städte gehen, wo eher die Deutschen hingehen, wo also ohnehin Knappheit ist. Wir wollen auch nicht in eine 1.000-Seelen-Gemeinde 500 Flüchtlinge schicken. Man hat vielleicht ein gewisses Übergewicht in einigen Leerstandsregionen, aber ich rede von circa drei Prozent. Das Problem in den Städten ist, dass man Flüchtlinge in großen zentralen Unterkünften unterbringt. Die Tendenz wird sein, dass man sie später, wenn sie in Wohnungen wechseln, auch in Blöcken unterbringt, sehr stark konzentriert, wo man dann nur unter sich ist, die Sprache nicht lernen muss und die deutsche Bevölkerung nicht kennenlernt. Zudem ist auch das Mietniveau in den Städten deutlich höher.
Seite zwei: „Auch Leerstandsregionen profitieren vom Jobwunder“