Das britische Referendum zum EU-Ausstieg dürfte für langfristig orientierte Investoren wie Staatsfonds und Family Offices von geringer Bedeutung sein. Kurzfristige Anlagen sind stärker gefährdet. Dass geht aus der Studie „Brexit: Logic dictates“ des Immobilienberatungsunternehmens Colliers International hervor.
„Sollte es zu einem Verbleib Großbritanniens in der EU kommen, wird der Immobilieninvestmentmarkt in Großbritannien im dritten Quartal 2016 deutlich an Dynamik gewinnen, die sich bis zum traditionell starken Jahresenden fortsetzen könnte. Aber bereits seit Anfang des Jahres sind Anzeichen von Verunsicherung und einer abwartenden Haltung der Investoren zu verzeichnen“, so Susanne Kiese, Head of Research bei Colliers International in Deutschland.
Ungewissheit vor dem Referendum
„Im Hinblick auf das EU-Referendum wäre es für den Immobilienmarkt am besten, wenn es Kontinuität und so wenig Ungewissheiten wie möglich gäbe. Langfristig steht die Attraktivität Londons und Großbritanniens, dessen Wirtschaftsumfeld stets als verlässlich und stabil galt, auf dem Spiel“, sagt Achim Degen, Sprecher der Geschäftsführung bei Colliers International. Die Ungewissheit vor dem Referendum gefährde den Immobilienmarkt.
Der jährliche „Global Investor Outlook“ von Colliers verdeutliche, dass Immobilien-Fundamentaldaten und die Verfügbarkeit von Finanzierungen für Investoren in ihrer Kalkulation stets wichtiger seien als Länderrisiken. Das gelte auch für die Zeit der europäischen Schuldenkrise.
„Kurzfristig orientierte Investoren, vor allem solche, die nach Exit-Szenarien nach zwei oder drei Jahren suchen, werden wohl am empfindlichsten auf plötzliche Veränderungen des politischen Umfelds reagieren“, meint Kiese.
Finanzstandort Frankfurt könnte vom Brexit profitieren
Die potenziellen Folgen eines Brexits ließen sich zum aktuellen Zeitpunkt nur schwer abschätzen, da historische Vorbilder fehlten und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Anschluss nicht bekannt seien.
„Aufgrund der sehr guten internationalen Anbindung und der Präsenz internationaler Banken und Finanzdienstleister sowie entscheidender europäischer Institutionen, könnte der Finanzstandort Frankfurt ein Profiteur der Entwicklung sein. Zu beachten ist jedoch, dass dieser Entwicklung negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen gegenüber stehen werden“, berichtet Peter Kunz FRICS, Managing Partner bei Colliers International in Frankfurt.
Verringerung von Leerstandsquoten
Auf Grund des hohen Arbeitskräftepotentials in London, wo mehr als fünfmal so viele Beschäftigte in der Finanzbranche tätig seien, würden sich selbst geringfügige Verschiebungen auf dem Frankfurter Markt bemerkbar machen.
„Geht man von einer Verlagerung von nur zwei Prozent der Beschäftigten aus, erhöht sich die Anzahl der Mitarbeiter der Finanzbranche in Frankfurt bereits um elf Prozent. Bei einer größeren Verlagerung von fünf bis zehn Prozent liegt die Steigerung bei 27 beziehungsweise 54 Prozent“, erläutert Dr. Tobias Dichtl, Researcher bei Colliers International in Frankfurt.
„Selbst bei einem niedrig angesetzten Flächenbedarf von zehn Quadratmeter pro Beschäftigtem würde im ersten Szenario der Leerstand im Frankfurter Central Business District um über 20 Prozent verringert. Im dritten Szenario wäre der aktuell vorhandene Leerstand vollständig abgebaut. Insbesondere größere zusammenhängende Büroflächen in modernen Gebäuden wären schnell Mangelware.“
Wohnungsmarkt bereits an Kapazitätsgrenze
Auch der Wohnungsmarkt, der bereits jetzt an der Kapazitätsgrenze angekommen ist, könnte eine hohe Anzahl zusätzlicher Einwohner kaum kompensieren.
Verbleib Großbritanniens in der EU:
„Bei einem Verbleib Großbritanniens in der EU dürfte auf eine Schwächephase vor dem Referendum eine ´Aufholjagd´ nach der Abstimmung folgen. Das gilt insbesondere für die Regionalmärkte in Großbritannien“, führt Kiese aus.
„Diese Erholung käme im dritten Quartal 2016, einer ansonsten aufgrund der Sommerferien eher ruhigen Phase, zum Tragen und könnte sogar genug Schwung gewinnen, um bis zum Jahresende anzudauern. Das würde bedeuten, dass angesichts des Zinstiefs und der hohen Liquidität im Markt das Jahr 2016 dem Vorjahr beim Investitionsvolumen den Rang ablaufen könnte.“
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Brexit:
„Ein Brexit könnte zu einer politischen Zersplitterung Großbritanniens genau in dem Moment führen, in dem politische Einigkeit besonders wichtig wäre. Die Finanzmärkte würden entsprechend negativ reagieren, was sich deutlich auf den Markt für britische Gewerbeimmobilien auswirken würde. Sehr langfristig denkende Anleger dürfte es weniger beeinflussen, doch kurzfristige Investoren wären dann nicht mehr in der Lage, Exit-Strategien zu entwickeln. Daher würden sie ihre Aktivität einschränken“, so Kiese abschließend. (kl)
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