Das deutsche Nießbrauchrecht ist beinahe 600 Jahre alt. Erstmals tauchte der Begriff im Berner Ratsmanual des Jahres 1496 auf. Damit ist das Nießbrauchrecht einer der ältesten Rechtstitel Deutschlands – und ist dabei aktueller denn je. Gastbeitrag von Marian Kirchhoff, Deutsche Teilkauf
Die häufigste Nutzung des Nießbrauchrechts umfasst das lebenslange und uneingeschränkte Wohn- und Nutzungsrecht einer Wohnung oder eines Hauses. In den meisten Fällen wird das Nießbrauchrecht eingesetzt, wenn eine Immobilie verschenkt oder verkauft wird, aber der neue Eigentümer nicht in vollem Umfang über die Erträge der Immobilie verfügen beziehungsweise über den Umgang mit ihr bestimmen soll. Der vorherige Eigentümer lässt sich dafür im Grundbuch ein sogenanntes Nießbrauchrecht eintragen.
Doch was besagt der Nießbrauch beziehungsweise das Nießbrauchrecht an einer Immobilie eigentlich genau? Ursprünglich im Lateinischen als usus fructus bezeichnet, liefert heute das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) folgende Definition: So definiert Paragraf 1030 BGB unter Nießbrauch das beschränkt dingliche Recht, die Nutzungen an einer Sache zu ziehen. Dies bedeutet, dass der Nießbrauchberechtigte in zweierlei Hinsicht profitiert: Er kann die Sache erstens nutzen und die Früchte daraus ziehen – beispielsweise durch Vermietung. Zweitens ist er gemäß Paragraf 1036 I BGB auch zum Besitz der Sache – beispielsweise in Form von Bewohnen – berechtigt. Damit kann der Nießbrauchberechtigte zwei von drei grundlegenden Rechten eines Eigentümers wahrnehmen und verzichtet lediglich auf das dritte Recht, über die Sache zu verfügen – er kann also die Immobilie nicht ohne weiteres verkaufen oder anderweitig belasten. Dieses dritte Recht hat grundsätzlich nur der im Grundbuch eingetragene Eigentümer.
Am häufigsten kommt das Nießbrauchrecht in Form eines lebenslangen Rechts, eine Immobilie zu bewohnen und/oder Nutzen daraus zu ziehen, zur Anwendung. Ein Nießbrauchrecht muss im Übrigen nicht für die gesamte Immobilie festgelegt werden; es kann sich auch bloß auf einen Teil der Immobilie beschränken.
Verpflichtet, die Sache instand zu halten
Dabei geht das Nießbrauchrecht wesentlich weiter als ein simples Wohnrecht, denn Letzteres erlischt mit dem Auszug. Ein Nießbrauch-Begünstigter bleibt hingegen lebenslang im Grundbuch an erster Stelle eingetragen und daher sozusagen auch lebenslang wirtschaftlicher Profiteur seiner Immobilie und kann sie daher auch weiterhin nutzen wie sein Eigentum. Er kann sie nicht nur lebenslang unentgeltlich bewohnen, sondern könnte sie auch vermieten, etwa im Fall, dass ein Umzug in eine Seniorenresidenz erforderlich wird. Die Mieteinnahmen stehen ihm dann ebenfalls zu.
Oftmals werden Wohn- und Nießbrauchrecht unter dem Nutzungsrecht subsumiert, es gibt allerdings erhebliche Unterschiede, sowohl in den Rechten als auch den Pflichten des Nutznießers, die bekannt sein sollten. So befindet sich der Nutznießer mit der Einräumung eines Nießbrauchrechts offiziell im Besitz der ihm überstellten Sache und kann diese nutzen und ihre Erträge ziehen. Er ist aber auch dazu verpflichtet, die Sache instand zu halten. Davon ausgenommen sind durch einen sachgemäßen Gebrauch entstandene Abnutzungserscheinungen. Im Gegenzug muss der Nutznießer die ihm überlassene Sache selbst versichern. Das ist beim Wohnrecht nicht der Fall, hier ist der Nutznießer nur dazu verpflichtet, Reparaturkosten, nicht aber Sanierungskosten zu tragen.
Öffentliche Lasten, das können bei einer Immobilie zum Beispiel Wasser- und Stromkosten sein, muss ebenfalls der Nießbraucher tragen, während das beim Wohnrecht nur teilweise der Fall ist. Oftmals wird das Wohnrecht, oder wie auch oft verkürzend als Nutzungsrecht betitelt, mit dem Argument dieser scheinbaren Kostenvorteile bevorzugt. Allerdings birgt das Wohnrecht zwei Risiken: Zum einen erlischt es mit dem Auszug und erlaubt keine “Fruchtziehung”. Zum anderen wird das Wohnrecht vertraglich zwischen den beiden Parteien festgeschrieben. Geht der neue Eigentümer der Immobilie insolvent und das Objekt wird in der Insolvenzmasse verwertet, so bestehen verschiedene Risiken für den Wohnrechtsinhaber. Wurde die Immobilie auf Rentenbasis verkauft, so sind mit einer Insolvenz in den meisten Fällen die Rentenansprüche erloschen, das Haus ist in dem Fall verkauft und nur ein Bruchteil des Wertes wurde überhaupt an den Verkäufer überwiesen.
Unter bestimmten Umständen kann das Wohnrecht zudem im Laufe des Insolvenzverfahrens erlöschen, je nachdem, welche vertraglichen Konditionen vereinbart worden sind. Das Nießbrauchrecht ist hier hingegen die stabilere Variante. Es wird im Grundbuch in der Abteilung 2 für “Beschränkungen und Belastungen” eingetragen. Damit besteht das Recht unabhängig vom Eigentümer der Immobilie fort, ist insolvenzfest und gilt, wenn einmal bestellt, lebenslang. Am häufigsten kommt das Nießbrauchrecht bei einem Komplett- oder auch Teilverkauf einer Immobilie zum Einsatz.
Bei letztgenanntem Modell verkauft der Eigentümer nur einen Teil seiner Wohnimmobilie an einen Dritten (maximal 50 Prozent), darf aber wie beim Vollverkauf die gesamte Immobilie lebenslang weiter nutzen. Der (Teil-)Verkäufer behält somit die volle Kontrolle über seine Immobilie mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten. Für die weitere Nutzung des verkauften Hausteils zahlt er dem (Teil-)Käufer ein Nutzungsentgelt, welches einer niedrigen ortsüblichen Miete gleichkommt. Der einmalige (Teil-)Verkaufspreis kann vom Verkäufer uneingeschränkt verwendet werden und wird meistens für Zwecke des allgemeinen Lebensbedarfes verwendet.
Vorrang vor dem Finanzierungs-Grundpfandrecht
Wer nun damit liebäugelt, seine Immobilie unter Anwendung des Nießbrauchrechts zu Geld zu machen, sollte Folgendes unbedingt beachten: Die Bestellung des Nießbrauchrechts sollte auf den gesamten Grundbesitz mit Rang vor dem Finanzierungs-Grundpfandrecht erfolgen. Dies bietet dann einen vollumfänglichen Schutz im Falle einer Zwangsversteigerung, insbesondere im Falle der Insolvenz des Käufers oder im Falle der Zwangsvollstreckung durch den Grundpfandrechtsinhaber. Denn das Nießbrauchrecht hat bezüglich des gesamten Grundbesitzes Vorrang vor dem Finanzierungs-Grundpfandrecht und bleibt daher bei einer Zwangsversteigerung bestehen.
Gilt das Nießbrauchrecht hingegen nur für den verkauften Anteil der Immobilie, so besteht die reale Gefahr, dass der Verkäufer seinen Immobilienanteil bei einer Insolvenz des Käufers ebenfalls verliert. Schließlich ist es Usus, den Teilkäufer mit einer Vollmacht auszustatten, um das Finanzierungs-Grundpfandrecht über den gesamten Grundbesitz auszuüben. Darum ist auch beim Teilverkauf mit Nießbrauchrecht darauf zu achten, dass die ganze Immobilie abgesichert ist.
Autor Marian Kirchhoff ist geschäftsführender Gesellschafter der Deutsche Teilkauf GmbH.