Cash.Gala 2019: „Singen befreit die Seele“

Auf der Cash.Gala heute Abend in Hamburg geht der Spendenscheck an die Stiftung „Kinder brauchen Musik“, die der Kinderliedermacher Rolf Zuckowski im Jahr 2004 gemeinsam mit seiner Frau Monika für eine aktive musikalische Kindheit gegründet hat. Cash.Online sprach mit Zuckowski über die Stiftung.

Rolf Zuckowski in der Hamburger Cash.-Redaktion

Herr Zuckowski, welche Rolle hat Musik in Ihrer Kindheit gespielt?

Zuckowski: Musik war aus unserem Familienleben gar nicht wegzudenken. Meine Mutter war eine gute und leidenschaftliche Sängerin. Sie sang aber nur zu Hause, nie in der Öffentlichkeit. Sie fand in jeder Lebenslage das passende Lied – wenn sie ganz traurig war, aber auch wenn sie übermütig fröhlich war. Das hat mich sehr geprägt. Mein Vater war Seemann und hat Mundharmonika gespielt, auch das fand ich immer faszinierend. Im August 1961 habe ich in Fleckeby an der Schlei zum ersten Mal einen richtigen Ferienaufenthalt gehabt, „Ferienverschickung“ nannte man das damals. Dort haben Pfadfinder abends mit uns am Lagerfeuer gesungen. Das hat mich total berührt. Ich muss zu Hause immer wieder davon erzählt haben, bis mir mein Vater irgendwann eine Gitarre geschenkt hat.

Wird heute in den Familien zu wenig musiziert?

Zuckowski: Die klassische Hausmusik ist heute leider eher die Ausnahme, aber es gibt sie noch. Das ist auch regional unterschiedlich, es gibt mehr Hausmusik im Allgäu als in Berlin oder Hamburg. Wo es hügelig wird, wird es oft auch heimelig. Anlassbezogen wird immer noch viel gesungen, zum Geburtstag oder an Weihnachten. Auch auf Autofahrten wird sehr viel gesungen. Ich höre immer wieder von Eltern, dass sie gerade auch mit meiner Musik sehr lange Strecken singend überstanden haben. Es ist ja gerade auch das Anliegen meiner Stiftung, das aktive Singen bei den Kindern und damit auch in den Familien zu fördern.

Warum ist Singen und Musizieren denn so wichtig für Kinder?

Zuckowski: Es tut einfach gut. Singen befreit die Seele, schafft Gemeinschaft und fördert das Bewusstsein für die Frage „Wer bin ich eigentlich?“, weil in Musik so viel Persönliches spürbar wird. Man lernt sich selber durch aktives Singen und Musizieren einfach besser kennen. Und man kann viel erleben. Kinder, die Musik machen, in Chören singen oder in Bands spielen, lernen andere Kinder und Lebensräume kennen, auch andere Kulturkreise. Chor- und Orchesterreisen zum Beispiel prägen. Das alles würde man nicht erleben, wenn man keine Musik machen würde.

Auf Ihrer Homepage schreiben Sie: „Es steht nach wie vor nicht gut um das aktive Musikleben vieler Kinder in unserem Land“. Was bemängeln Sie?

Zuckowski: In vielen Kindergärten fehlen musikalisch ausgebildete Erzieherinnen. Das heißt nicht, dass dort überhaupt keine Musik erklingt, aber sie erklingt vielleicht etwas zu oft nur aus dem CD-Player und kommt nicht von Frauen und Männern, die mit den Kindern im Stuhlkreis sitzen, ein Instrument auf dem Schoß haben und singen. Wir wissen von vielen Kindergärten, dass da große Defizite herrschen. In den Schulen ist es ähnlich. Musiklehrerausbildung ist ein Mangelfach, darum sind in den Grundschulen fachfremde Lehrer eher die Regel. Das sind zwar nicht unbedingt die schlechtesten Musiklehrer, aber ihnen fehlt oft eine gewisse Grundausstattung an Musikpädagogik. Von der Kulturpolitik, die die Lehrpläne gestaltet, aber auch von vielen Eltern wird das Fach Musik als nicht besonders wertvoll eingeschätzt. Die kognitiven Fächer machen sich wichtig, die Kinder sollen lernen, es soll etwas aus ihnen werden. Dabei wird unterschätzt, wie sehr die Lernfreude durch Musik gefördert wird.

Was hat Sie dazu bewogen, die Stiftung zu gründen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Zuckowski: Ja, immer wieder. Ein wiederholtes Schlüsselerlebnis, weil ich bei meinen Konzertauftritten in Schulen immer wieder gespürt habe, wie gut Musik diesen Gemeinschaften tut. Ich wollte etwas machen, in dem sich die Erfahrung aus meiner Tourneetätigkeit verdichten lässt, über meine Person und mein eigenes Repertoire hinaus. So ist die Idee zu dieser Stiftung gewachsen.

Rolf Zuckowski im Gespräch

Was tun Sie mit der Stiftung ganz konkret?

Zuckowski: Unser Hauptprojekt nennt sich „Eine Klassenreise zur Musik“. Dabei handelt es sich um eine einwöchige Reise für jeweils drei dritte Schulkassen – wenn es grenzüberschreitend ist, zum Beispiel deutsch-polnisch, sind es fünfte Schulklassen. In dieser Projektwoche studieren drei bis vier Künstler in Workshops ein Aufführungsstück mit den Kindern ein, eine Art „Mini-Musical“. Am Anfang der Woche werden die Klassenverbände aufgelöst und die Kinder einzelnen Themen zugeordnet, zum Beispiel Percussion, Schauspiel, Tanz, Chor oder Sologesang. Die meisten durchlaufen gleich mehrere dieser Angebotsgruppen, bis klar ist, wer in der Aufführung was macht. Es sollen alle die Chance haben, sich mit ihren Talenten einzubringen. Es kommt dabei immer wieder vor, dass die Lehrer zu uns kommen und sagen: „Wir erleben unsere Schüler auf dieser Reise völlig neu!“ Die Abschlussaufführung ist dann für die Eltern und Familien, deshalb ist das Reiseziel maximal 150 Kilometer vom Wohnort entfernt. Unsere Hoffnung ist, dass die Musik in den teilnehmenden Schulen einen neuen Stellenwert bekommt und auch die Eltern erkennen, wie gut aktive Musikerlebnisse ihren Kindern tun.

Fördern Sie auch externe Projekte?

Zuckowski: Ja, die Palette ist bunt. Das können zum Beispiel Kindergärten in sozialen Brennpunkten sein, denen altersstufengerechte Instrumente fehlen, oder einzelne Aufführungsprojekte. Wir tun uns auch mit anderen Stiftungen zusammen, die Kinder in schwersten Lebenslagen fördern. Es gibt in Hamburg eine Einrichtung namens „Mattisburg“, ein Schutzhaus für Kinder mit schwer traumatisierten Lebensläufen – Misshandlung, Vernachlässigung, psychische und physische Gewalt in der Familie. Sie werden von den Jugendämtern für zwei Jahre in der „Mattisburg“ untergebracht, um dort herausfinden zu können, was dem Kind geschehen ist, was es braucht, um in ein normales Leben zurückzukehren und wo es in Zukunft besser betreut werden kann als in der eigenen Familie. Dahinter steht die Stiftung „Ein Platz für Kinder“, mit der wir jetzt zusammenarbeiten. Wir fördern in der „Mattisburg“ den musiktherapeutischen Unterricht.

Sind das aktive Musizieren und passives Musikhören gleichermaßen wichtig für Kinder?

Zuckowski: Das Hören kommt ja immer vor dem Machen. Kinder, die keine Musik hören und keine Liebe zur Musik entwickeln, werden wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, selber Musik machen zu wollen. In der Regel brauchen sie aber auch Menschen, die musizieren, denen sie dann nacheifern wollen.

Befürchten Sie, dass die ständige Verfügbarkeit von Songs und Alben über Streamingdienste die Bedeutung von Musik entwerten wird?

Zuckowski: Ich glaube, das ist schon so weit. Die Menschen hören heute über ihre Smartphones mehr Musik als je zuvor. Aber sie hat dadurch nicht mehr den Stellenwert dessen, worauf man lange gewartet, vielleicht auch gespart hat, worauf man sich freut. Aber so ist die Lebensweise heute. Ich persönlich liebe nach wie vor anfassbare Tonträger. Aber man kann nicht so tun, als gäbe es diese neue Art von Musikkonsum nicht, sonst hat man diese Hörergruppe bald ganz verloren.

Rolf Zuckowski, Cash.-Redakteure Kim Brodtmann und Jörg Droste (von links)

Verändert Streaming auch die Musik selbst? Die Skip-Taste wird am häufigsten genutzt, Lieder, die nicht nach zehn Sekunden gefallen, werden weggedrückt.

Zuckowski: Dieses Zapping finde ich schade. Es hält davon ab, Musik zu entdecken, die sich in ihrem Wert häufig erst über drei bis fünf Minuten erschließt – oder durch wiederholtes Hören. Wie oft haben wir früher bei den neuen Songs der Beatles gesagt: „Die alten waren aber besser!“ Aber nach drei- oder viermaligem Anhören waren dann plötzlich die neuen Songs die besten. Wenn ein Lied den Hörer heute nicht sofort anspricht, besteht immer die Gefahr, dass direkt zum nächsten Lied gezappt wird. Andererseits kann man durch Streaming viel mehr Musik erleben als früher. Ich selber bin dadurch auf vieles gestoßen, was ich vorher nicht so wahrgenommen habe.

Hat der Musiker Rolf Zuckowski ein Lieblingslied?

Zuckowski: Auf diese Frage konnte ich noch nie eine eindeutige Antwort geben. Ich kann Ihnen aber sagen, welches mein wichtigstes Lied ist. Es heißt „Ich schaff‘ das schon“. Es ist sehr emotional und hat schon sehr vielen Menschen geholfen, aus dem tiefsten Tal wieder ans Licht zu kommen. Das weiß ich durch Gespräche, Briefe und Umarmungen. Viele Menschen haben sich bei mir für dieses Lied bedankt, weil es offenbar eine große Kraft in ihnen ausgelöst hat.

Das Gespräch führten Kim Brodtmann und Jörg Droste, beide Cash.

Fotos: Cash.

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