Aus den Inflationsraten wird oftmals geschlussfolgert, dass Europa dem Japan-Szenario folgen wird. Trotz zahlreicher Parallelen ist allerdings keine identische Entwicklung zu erwarten.
Marktkommentar: Patrick Vogel, Mainfirst
Seit 2009 haben sich die Teuerungsraten in Europa nicht nachhaltig erholen können. Auch die aktuellen Inflationszahlen sind beunruhigend. Laut Eurostat lag Europas durchschnittliche Inflation im Juli bei gerade mal 0,4 Prozent. Die deutsche Teuerungsrate betrug 0,8 Prozent und in Italien und Spanien gingen bei Null beziehungsweise -0,3 Prozent bereits sämtliche Alarmglocken an.
Die Gründe für die extrem niedrigen Teuerungsraten sind vielfältig und – was viele beunruhigt – ähneln teilweise sehr den Entwicklungen, wie wir sie bereits aus Japan kennen. Eine geplatzte Immobilienblase, Konsum- und Investitionszurückhaltung und sinkende Staatsausgaben haben schon in den 90er Jahren in Nippon eine Deflationsspirale in Gang gesetzt, an deren Folgen das Land bis heute krankt.
Liquiditätsklemme soll verhindert werden
Und es wird bereits reagiert: Analog zu Japans „Takenaka Plan“, mit dem im Jahr 2002 der japanische Bankensektor stabilisiert werden sollte, hat auch Europa versucht, ein „Japan-Szenario“ bestmöglich zu verhindern. Sowohl auf nationaler Ebene als auch international seitens der EZB wurde den Banken nahegelegt, ihre Bilanzen zu überprüfen und Teile auszulagern und Kapitallücken zu schließen. Dies sollte einer Liquiditätsklemme entgegenwirken. Darüber hinaus wurde durch gezielte Kommunikation eine weitere Aufwertung des Euro verhindert, was den Druck auf die niedrigeren Inflationsraten zusätzlich mindern sollte.
Gewonnen scheint gleichwohl nicht viel: Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen liegt bei 1,15 Prozent. Der Unterschied zu vergleichbaren japanischen Staatspapieren wird immer geringer – ein Vergleich zu Nippon damit für viele Beobachter immer naheliegender. So mancher orakelt beim Blick auf den Kalender: Acht Jahre nach dem Platzen der japanischen Immobilienblase rutsche Japan in die Deflation. In Spanien platze die Immobilienblase vor sieben Jahren.
Für Panik ist es trotz mancher Vorzeichen jedoch zu früh, denn ein wichtiger Unterschied zu Japan wird viel zu oft verkannt: Europa ist ein Staatenverbund, in dem negative Effekte in einem Land durch positivere Entwicklungen eines anderen Landes teilweise ausgeglichen werden.
Nehmen wir die demografische Entwicklung: Japan hatte unter anderem mit einer immer älter werdenden Gesellschaft zu kämpfen. Der Rückgang der arbeitsfähigen Bevölkerung lässt sich zwar in Deutschland, Italien und Frankreich feststellen. Dieser wird allerdings dadurch gedämpft, dass in Spanien und anderen kleineren Ländern der demografische Wandel zumindest deutlich langsamer vonstatten geht.
Bei der Frage der Konsumrückhaltung hält der Vergleich mit Japan dem zweiten Blick ebenfalls nicht stand. Das Problem betrifft in Europa wegen der Lohndeflation hauptsächlich Länder wie Spanien und Italien. Auch die Investitionszurückhaltung in der Peripherie wird durch ausländische Unternehmen zum Teil ausgeglichen.
Niedrigzinsumfeld macht Investoren zu schaffen
Wahrscheinlicher als ein zermürbender, schrittweiser Preisverfall scheint daher ein andauerndes Niedrigzinsumfeld, das eine langanhaltende Inflation in der Eurozone unter dem EZB-Ziel von zwei Prozent zur Folge hat.
Für Investoren ist auch dies nur bedingt eine gute Nachricht, denn sie haben es in einem Umfeld langanhaltender Niedrigzinsen besonders schwer, müssen frühzeitig darauf reagieren und ihre erwarteten Renditen sowie ihr Risikomanagement anpassen. Zum Beispiel Lebensversicherer: Sie reagierten bereits auf die fallende laufende Verzinsung, welche aktuell nur rund 3,5 Prozent beträgt. In der Konsequenz haben sie den Garantiezins für abgeschlossene Neuverträge auf 1,75 Prozent gesenkt. Andere wiederum wollen es noch nicht ganz wahr haben. So reduzieren deutsche Versorgungswerke den Rechnungszins nur allmählich: Laut einer Studie von GAC verwendet ein Großteil der deutschen Versorgungswerke noch immer einen Rechnungszins von 4 Prozent.
Angesichts des schwachen Wachstums- und Inflationsausblicks in der Eurozone können somit Staatsanleihen, trotz der geringen Renditeniveaus, haltenswert sein, wobei Renditeanstiege zu einer Verlängerung der Duration genutzt werden sollten. Mit Bundesanleihen allein können Anleger keine 1,75 Prozent Rendite erwirtschaften. Eine gute Alternative sind Unternehmensanleihen mit höherer Rendite oder Schwellenländer-Anleihen.
Von Japan lernen wir außerdem, dass Aktien in einem Niedrigzinsumfeld höhere Bewertungen aufweisen können, wobei von benchmarknahen Investitionen abzuraten ist. Ein Blick auf Nippon macht deutlich, dass Exportwerte trotz Währungsaufwertung attraktive Investitionsmöglichkeiten sind. Dabei müssen sie aber in der Lage sein, durch Effizienzsteigerung und Innovation zu punkten. Auch lokale Unternehmen mit Marktdurchdringungs-Potenzial wie etwa Nahrungsmittelhersteller können in einem Niedrigzinsumfeld attaktiv sein, insofern sie höhere Preise durchsetzen können.
Auch wenn uns in Europa wohl keine japanischen Verhältnisse drohen, stehen Anleger vor enormen Herausforderungen.
Autor Patrick Vogel ist Co-Portfoliomanager des Mischfonds Mainfirst Absolute Return Multi Asset bei der Frankfurter Fondsgesellschaft Mainfirst.
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