Disinflation oder doch Deflation? Die Frage ist für Anleger virulent. Die Inflationsraten waren in den vergangenen Monaten tendenziell niedriger als erwartet, und die Zentralbanken befassen sich derzeit eher mit Deflations- als mit Inflationsrisiken.
Dennoch sind wir der Auffassung, dass sich die Inflation stabilisieren wird und dass nicht mit einer Deflation zu rechnen ist, wie sie Japan bis vor kurzem plagte. In diesem Zusammenhang ist zwischen „Deflation“ und „Disinflation“ zu unterscheiden. Bei einer Deflation gehen die Preise zurück und die Konjunktur stagniert bestenfalls. Bei einer Disinflation verlangsamt sich die Inflation zwar, wird aber nicht negativ.
Da wir von einem moderaten, aber nachhaltigen Wachstum ausgehen – ein Szenario, das von der Entwicklung in den vergangenen Quartalen gestützt wird –, sollte sich das Preisniveau in den entwickelten Ländern stabilisieren und dann in den kommenden zwei bis drei Jahren ansteigen. Die Deflation in einigen europäischen Ländern ist Teil eines schmerzhaften Anpassungsprozesses, um die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen.
Wir rechnen aus den folgenden drei Gründen nicht damit, dass sich die Entwicklung wie in Japan, dem Land mit einer seit 2 Dekaden anhaltenden Deflation, in den Industrieländern insgesamt wiederholt:
1. Die Verschuldung des privaten Sektors ist sehr viel niedriger als im Japan der Neunzigerjahre.
2. Die Geldpolitik der Fed und der Europäischen Zentralbank ist sehr viel akkommodierender als dies in Japan zu Beginn der „verlorenen Jahrzehnte“ der Fall war.
3. Die Immobilienmärkte in den USA und in den Peripherieländern des Euroraums haben sich rascher stabilisiert als dies in Japan der Fall war.
Ein Anstieg der Inflation erscheint zwar derzeit weniger wahrscheinlich, sollte aber von den Anlegern nicht außer Acht gelassen werden. Die langfristigen Inflationserwartungen sind noch gut verankert, aber die Potenziallücke in den USA schließt sich nach jahrelangen Unterinvestitionen in den Industrieländern und das globale Geldmengenwachstum war im Vergleich zu den nominalen Wachstumsraten moderat.
Mit einer Rate von sechs bis sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr ist das Geldmengenwachstum durchschnittlich, so dass in den kommenden Quartalen weder eine deutliche Inflation noch eine spürbare Deflation wahrscheinlich sind. Keine Deflation – das ist eine gute Nachricht für Aktien.
Autor Hans-Jörg Naumer schreibt als Kolumnist im Cash.-Magazin über aktuelle Themen der Kapitalmärkte. Naumer ist seit dem Jahr 2000 Leiter Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors (AGI), Frankfurt.