Das britische Volk hat entschieden, dass die Zukunft des Vereinigten Königreichs außerhalb der Europäischen Union liegen soll. Gastkommentar von Dr. Manfred Schlumberger, Berenberg
Das Zögern der britischen Politiker, das Votum des Volkes umzusetzen, offenbart jedoch, dass man die Vorzüge der Wirtschaftsgemeinschaft nicht verlieren möchte. Ein gemeinsamer Markt liegt sowohl im britischen als auch im EU-Interesse. Einer Verständigung in dieser Frage steht jedoch die Ablehnung der Freizügigkeit von Arbeitskräften in der EU durch die Mehrheit der britischen Bevölkerung entgegen. Die größten politischen Risiken, die aus dem „Brexit“ resultieren, sind mögliche Zerfallserscheinungen der EU, die sich im anstehenden Verfassungsreferendum in Italien und Wahlen in den Kernländern Deutschland und Frankreich im nächsten Jahr manifestieren können.
In ökonomischer Hinsicht trifft das negative EU-Referendum Großbritannien am härtesten: Das britische Wachstum wird im zweiten Halbjahr 2016 stagnieren! Auch die kontinentaleuropäische Konjunktur wird leicht an Wachstum verlieren. Weniger Wachstum geht in der Regel zu Lasten der Gewinne der Unternehmen. Das zu erwartende leicht negative Gewinnwachstum 2016 in Europa könnte sich noch verstärken und die erhoffte Trendwende im nächsten Jahr abschwächen.
Auswirkungen auf die Finanzplätze
Was bedeutet das für die Kapitalmärkte? Wie zu erwarten brachen die europäischen Aktienmärkte unmittelbar nach der Brexit- Entscheidung ein. Vor allem Finanzwerte führen die Liste der Kursverlierer mit Abschlägen von fast 20 Prozent an. Die britische Währung ging in die Knie, Kurse bonitätsstarker Renten und Edelmetallpreise stiegen massiv an. Zwischenzeitlich haben sich insbesondere die Aktienmärkte wieder deutlich vom ersten Schock erholt. Denn der Brexit generiert auch positive Effekte auf der Zinsseite. Die britische Notenbank kündigte bereits eine weitere Leitzinssenkung an und von der US-Notenbank Fed erwarten wir in diesem Jahr nur noch maximal eine Zinserhöhung. Die Aussicht auf steigende Zinsen am Rentenmarkt, die Aktienanleger zum Ausstieg animieren könnte, schwindet weiter. Die viel beschworene Alternativlosigkeit der Aktie bleibt gewahrt.
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Durch den Brexit werden die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten in Europa noch zunehmen. Dies dürfte insbesondere US-amerikanische Investoren, die bereits im ersten Halbjahr massiv Kapital aus Europa abgezogen haben, davon abhalten, wieder zurückzukehren. Fasst man alle Argumente zusammen, so spricht die Unattraktivität der bonitätsstarken Rentenanlagen dafür, dass die Aktienmärkte – beispielsweise der Dax – nach unten bei Niveaus um 9.000 Punkte gut abgesichert sind. Nach oben scheinen angesichts des schwachen Gewinnwachstums der Unternehmen und der hohen Bewertung vieler Aktiensegmente (außer dem Finanzsektor und dort mit gutem Grund) Kurse jenseits des bisherigen Jahresverlaufshochs von 10.500 weniger wahrscheinlich zu werden.
Große politische und ökonomische Risiken sowie anhaltend negative Zinsen lassen jedoch Edelmetalle (Gold und Silber) nach einer mehrjährigen Baisse in diesem Jahr heller denn je glänzen.
Manfred Schlumberger ist CIO bei Berenberg, Hamburg