Dr. Martin Lück, Chief Investment Strategist für Deutschland, Österreich und Osteuropa, kommentiert den Börsenstart des Jahres 2016 und gibt einen Ausblick, wie es weitergehen könnte.
Nach zwei verlustreichen Wochen haben die Aktienmärkte in Kalenderwoche drei endlich die Kurve gekriegt. Der Dax lag am Freitagabend auf Wochenbasis um 2,3 Prozent im Plus, ebenso der Eurostoxx. Der S&P 500 gewann 1,3 Prozent. Hauptgrund der Stimmungsverbesserung waren nicht, wie man hätte erwarten können, positive Überraschungen bei Makrodaten oder der langsam anlaufenden Berichtssaison, sondern – wieder einmal – die Zentralbankpolitik. Unterstützt wurde die frohe Kunde, die EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag überbrachte, durch eine Stabilisierung des Ölpreises zum Wochenausklang. Zwar ist es zu früh zu konstatieren, daß der beispiellose Preisverfall nun seinen Boden gefunden hat. Gute Nachrichten werden aber in derart angeschlagenen Marktphasen dankbar angenommen, selbst wenn sie möglicherweise von kurzer Dauer sind.
Ölpreis als vielfacher Gradmesser
Die Gründe, aufgrund derer die Finanzmärkte derzeit auf die Ölpreise starren, sind vielschichtig und nicht immer intuitiv einleuchtend. Stimmt schon, in früheren Zeiten war ein so stark absackender Ölpreis schon mal der Vorbote einer massiven Abkühlung der Weltkonjunktur. Denn wenn so viel weniger Öl nachgefragt wird, bedeutet das wohl, dass weniger Maschinen laufen, Menschen weniger konsumieren, insgesamt mithin die globale Nachfrage schwächelt.
Nur: Im aktuellen Kontext können wir keine markante Abschwächung der globalen Wirtschaftsaktivität erkennen, jedenfalls keine, die einen derartigen Preisrutsch beim Öl erklären würde. Also kommt der Preisverfall wohl vielmehr von der Angebotsseite. In der Tat werden jeden einzelnen Tag rund anderthalb Million Barrel mehr gefördert als unmittelbar nachgefragt. Ergebnis: Die Preise fallen.
Einnahmerückgänge der Förderländer
Umso besser, möchte man jetzt sagen, denn wenn der Preisschock von der Angebotsseite kommt und damit keine weltweite Nachfrageschwäche suggeriert, dann wirkt er doch erst recht wie ein Konjunkturprogramm. In der Tat, das tut er auch. Verbraucher haben mehr Geld für anderweitigen Konsum in der Tasche, Unternehmen können Vorprodukte billiger einkaufen. Das wirkt durchaus stimulierend auf das Wachstum. Problematisch ist nur, dass diesem Stimulus negative Effekte entgegenstehen, die im gegenwärtigen Kontext noch stärker wahrgenommen werden und die Stimmung eintrüben. So sorgen sich Investoren etwa um die Einnahmen der Förderländer, die unter dem Eindruck niedriger Ölpreise eingebrochen sind. Besonders bei ölabhängigen Schwellenländern wie etwa Russland oder Brasilien, die in den Jahren hoher Preise erheblich zum globalen Wachstum beigetragen haben, besteht die Gefahr, dass sie zu einer Belastung für die Weltwirtschaft werden.
Außerdem steht zu befürchten, dass Förderländer mit Leistungsbilanz- und/oder Haushaltsdefiziten zunehmend gezwungen werden, Finanzaktiva, die ihre Staatsfonds in Zeiten hoher Ölpreise angesammelt hatten, zu verkaufen. Damit könnte sich der Verkaufsdruck an den Kapitalmärkten noch verstärken. Und schließlich könnten niedrige Öleinnahmen zur gesellschaftlichen Destabilisierung in Förderländern beitragen. Vor allem in geopolitisch sensiblen Regionen der Welt dürfte das zu mehr Unsicherheit führen. Sogar Saudi-Arabien, nicht unbedingt ein armes Land, hat damit begonnen, Sozialleistungen einzuschränken.
Konsequenzen für die Anleger
In der gegenwärtigen, verunsicherten Situation an den Finanzmärkten wäre daher eine Bodenbildung bei den Ölpreisen extrem wichtig. Anleger würden dann, selbst wenn hohe Lagerbestände eine schnelle Erholung der Spotpreise in weite Ferne rücken lassen, durch die Schwäche hindurchschauen. Sie würden sicher auch honorieren, daß dann die Kreditausfallrisiken in der Energiebranche abflauen könnten und auf Sicht der dämpfende Effekt, den die ächzende Fracking- Branche auf die gesamte US-Industrie ausübt, bald überstanden sein dürfte. Anleger wären eher bereit, die Vorteile billigen Öls einzupreisen.
Foto: Blackrock