Dr. Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba, hat mit Cash. über den Brexit, das Wettrennen zwischen den Wirtschaftsräumen Nordamerika, Europa und Asien, das Freihandelsabkommen TTIP sowie die Geldpolitik der US-Notenbank gesprochen.
Cash.: Aktuell wird das Wettrennen zwischen den Wirtschaftsräumen Nordamerika, Europa und Asien immer intensiver. Welchen Kontinent sehen sie mittelfristig aktuell in der Pole-Position?
Traud: Derzeit steht Europa im Fokus. Die Briten haben sich entschieden, die EU zu verlassen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen hängen entscheidend davon ab, wie der Scheidungsvertrag zwischen der EU und Großbritannien ausgestaltet sein wird. Dieser Prozess kann sich bis zu zwei Jahren hinziehen. In unserem Hauptszenario erwarten wir starke negative Effekte für Großbritannien. Insbesondere die Unternehmensinvestitionen dürften erheblich beeinträchtigt werden, in geringerem Ausmaß aber auch der Konsum.
Die Effekte auf Deutschland und die Eurozone halten sich in unserem Hauptszenario eines gesichtswahrenden Kompromisses aber in Grenzen. Denn die Eurozone befindet sich derzeit in einer konjunkturellen Erholungsphase, die auch durch den „Brexit“ nicht abbrechen wird. Strukturelle Belastungsfaktoren bleiben jedoch erhalten – insbesondere die demografischen Defizite der schnell alternden Gesellschaften.
Dies ist zwar eine Herausforderung, der sich auch China wegen seiner vormaligen „Ein-Kind-Politik“ zunehmend gegenüber sieht, aber gemessen an den Wachstumsraten wird Asien auch in den kommenden Jahren vorn liegen. Die USA haben uns gegenüber einen Vorteil in der Demografie, daher wird dort das Wachstum auch etwas höher sein als bei uns. Aber global bleibt das ungelöste Problem der hohen Verschuldung. Dies dürfte die Dynamik auf allen drei Kontinenten mittelfristig dämpfen.
Das Freihandelsabkommen TTIP wird aktuell stark in den Medien und der Politik diskutiert. Welche Wachstumseffekte hätte TTIP auf die konjunkturelle Entwicklung in den USA und in Europa?
In den vergangenen Jahrzehnten war die kräftige Zunahme des Welthandels sowohl Treiber als auch Folge des globalen Wirtschaftswachstums. Deutschland hat an diesem Austausch rege teilgenommen und von ihm massiv profitiert. Auf der Exportseite haben sich deutsche Unternehmen die Weltmärkte erschlossen. Beschäftigung und Einkommen in Deutschland wurden so gesichert.
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Gleichzeitig – und das kommt in der öffentlichen Diskussion oft viel zu kurz – haben wir aber auch Vorteile von den Importen: Die Realeinkommen haben sich durch günstige Importe besser entwickelt, die Produktvielfalt hat zugenommen. Güter und Dienstleistungen, die früher gar nicht oder nur zu stark erhöhten Preisen erhältlich waren, sind nun auch in Deutschland verfügbar.
Seite zwei: „TTIP könnte für kleine und mittelständische Unternehmener besonders positive Impulse liefern„