Nach dem Brexit-Votum gab es schwere Turbulenzen bei der englischen Währung. Die erste Leitzinssenkung der Bank of England seit sieben Jahren gilt ebenfalls als kräftige Zäsur. Gastkommtar von Jannis Raftopoulos, Geschäftsführer JRC Capital Management Consultancy & Research GmbH
Der große Brexit-Schock scheint überwunden. Allerdings überschatten die Folgen die Märkte als latente Gefahr. Dessen ist sich die Bank of England sehr wohl bewusst und will mit ihrer Entscheidung präventiv agieren, anstatt später unter Zugzwang zu geraten. Während Konjunkturdaten wie das Bruttoinlandsprodukt und der Verbraucherpreisindex in Großbritannien größtenteils positiv ausgefallen sind, stellen sich die Stimmungsbarometer zum Konsum- und Geschäftsklima, welche oft als Frühindikatoren für Rezessionen fungieren, deutlich schlechter dar. Dies gilt als wesentlicher Faktor für die Zinssenkung. Aussagen von Mark Carney, Gouverneur der Bank of England, zur Folge soll mit den Maßnahmen die Unsicherheit genommen werden. Außerdem sei die Geldpolitik der Zentralbank flexibler als die Fiskalpolitik des Staates und könne dadurch schneller angepasst werden. So seien auch weitere Zinssenkungen machbar, falls nötig.
Strategiewechsel in der Geldpolitik?
Einige Marktteilnehmer erwarten bereits zur nächsten Sitzung im September einen Schnitt um weitere 15 Basispunkte auf 0,10 Prozent. Wir halten dieses Szenario jedoch zu diesem Zeitpunkt für relativ unwahrscheinlich. Die Bank of England zeichnete sich in den letzten Jahren durch ihre beständige Geldpolitik aus und hielt den Leitzins seit 2009 konstant gleich. Da negative Zinsen beim Direktorium nicht so viel Anklang finden, scheint es unwahrscheinlich, dass die britischen Währungshüter ihr ganzes Pulver sofort verschießen. Ein weiterer Grund: Der Brexit-Prozess wird noch sehr lange anhalten und die wirtschaftlichen Folgen sind kaum absehbar.
Ausweitung des Anleihekaufprogramms
Die Zinssenkung war weitestgehend erwartet und im Markt zuvor eingepreist. Was viel eher für eine Überraschung sorgte, war die Ausweitung des Anleihekaufprogramms um 60 Milliarden Pfund auf insgesamt 435 Milliarden Pfund. Diese Nachricht brachte die Währung erneut ins Straucheln. Der Cable (GBP/USD) fiel ans untere Ende seiner Seitwärtsrange, konnte aus dieser Konsolidierungsphase ausbrechen und notiert derzeit knapp darunter. Auch der Euro konnte bei 0,8724 ein neues Jahreshoch gegenüber dem Pfund Sterling markieren. Zusammengefasst bedeutet das: Die Unsicherheit bleibt trotz der Maßnahmen erst einmal bestehen und wird voraussichtlich auch weiterhin für Druck auf das Pfund sorgen.
Die Bank of England setzt Signal
Ein Großteil der britischen Stimmungsindikatoren forciert derzeit den Pessimismus. Die Resultate basieren auf reinen Umfragewerten und geben das aktuelle Klima sowie die Erwartungen der Marktteilnehmer wieder. Nach dem Brexit-Votum verwundern die schlechten Werte kaum. Doch die Zentralbank reagierte mit ihrem Anleihekauf nicht nur auf die Stimmungsindikatoren, sondern auch auf die Gefahr einer schwächelnden Wirtschaft. Die Bank of England prognostiziert für dieses Jahr ein Wachstum von 0,8 Prozent – deutliche 1,5 Prozentpunkte unter den bisherigen Prognosen. Bei den Verbraucherpreisen wird mit einem Anstieg auf 2,4 Prozent bis 2018 gerechnet. Dies ergibt sich aus der Annahme eines weiter fallenden Pfunds, welches zu steigenden Importpreisen und somit zu importierter Inflation führen könnte. Resultierend daraus war es wichtig für Mark Carney, ein Signal zu senden – ähnlich wie Mario Draghi, der mit den drei magischen Worte „whatever it takes“ die Märkte 2012 im Zuge der Staatsschuldenkrise beruhigen konnte.
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Noch nie hing die Entwicklung des Britischen Pfunds so sehr von der politischen Entwicklung des Landes ab. Eine besonders gewichtige Rolle werden die zukünftigen Austrittsverhandlungen einnehmen. Durch die Lockerungsmaßnahmen und die Bereitschaft zu weiteren Maßnahmen der Bank of England erscheint eine weitere Abwertung des Pfunds als sehr wahrscheinlich – was Risiko und Chancen zugleich erhöht. (tr)
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