Demografische Tendenzen haben wenig mit Wachstum zu tun
Zugegebenermaßen deutet der Growth-Accounting-Ansatz (Erklärung der Wachstumsrate eines Landes oder einer Ländergruppe) darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum primär auf die Kapitalakkumulierung und den Anstieg der totalen Faktorproduktivität und weniger auf den Anstieg des Arbeitskräfteangebots zurückzuführen ist. Nach diesem Verständnis haben demografische Tendenzen recht wenig mit dem Wachstum einer Volkswirtschaft zu tun. Analysen haben jedoch ergeben, dass die demografische Dividende (fallende Altenquotienten) ca. 1/3 des Wirtschaftswachstums (pro Kopf) Ostasiens von 1965-2000 erklärt, was zum Großteil auf ihren Einfluss auf die Ersparnisbildung und die Investitionen zurückzuführen ist. Aus dieser Sicht dürfte die Verschlechterung der demografischen Entwicklung in den Emerging Marktes auf kurze und mittlere Sicht durchaus Auswirkungen haben.
Weder die „mittlere Einkommensfalle“ noch die demografischen Probleme werden das Wirtschaftswachstum in Indien und Indonesien in der nahen Zukunft eindämmen. In China dagegen erweisen sich die Anpassung an den sich abschwächenden Produktivitätszuwachs und ungünstige demografische Tendenzen als große Herausforderungen. Im Vergleich dazu sind die wirtschaftspolitischen Herausforderungen Indiens und Indonesiens wesentlich weniger komplex. Eine Kombination aus makroökonomischer Stabilität und Infrastrukturinvestitionen dürften ausreichend sein, das hohe Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten.
Naturlich können (und sollten) konzertierte Reformanstrengungen zur Förderung des Wachstums in den anderen Emerging Markets beitragen. Interessanterweise vertreten Eichengreen et al des Weiteren die Einschätzung, dass das Bildungssystem eine wichtige Rolle spielt, die „mittlere Einkommensfalle“ in den Schwellenländern zu vermeiden. Dies ist einleuchtend. Der Aufbau eines angemessen produktiven Kapitalstocks ist leichter (obwohl nicht notwendigerweise leicht) und weniger zeitaufwendig als der Aufbau eines Bildungssystems mit hohem Qualitätsstandard und Humankapital. Das heißt natürlich nicht, dass z.B. die mangelnde Infrastruktur in Ländern wie Brasilien keine große Bremse für das Wachstum darstellt.
Sie ist durchaus ein wichtiges Hemmnis. Aber sie ist ein viel geringeres Problem als in z.B. in China, Mexiko oder der Türkei. In dieser Hinsicht dürfte China deutlich besser positioniert sein, die „mittlere Einkommensfalle“ zu bewältigen als Brasilien, Mexiko und die Türkei, die in den letzten Jahrzehnten sehr viel begrenztere Fortschritte bezüglich der Humankapitalakkumulation gemacht haben als China. Umfassendere, produktivitätssteigernde Reformen wären im Hinblick auf die Steigerung des Potenzialwachstums in allen Emerging Markets wünschenswert – wichtige strukturelle Faktoren führen indes dazu, dass sich Indien und Indonesien vorerst in einer günstigeren Konstellation befinden als die anderen Schwellenländer. Markus Jäger arbeitet im Team Global Macro & Sovereign Risk, bei der Deutschen Bank in Frankfurt.
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