„Brexit könnte unter den Tisch fallen“

Bei der vorgezogenen britischen Parlamentswahl hat die Konservative Partei mit der Premierministerin Theresa May die absolute Mehrheit im Unterhaus verloren. Die Finanzmärkte erwarten nun schwierige Zeiten für die UK-Wirtschaft. In Bezug auf den Brexit vertritt Dr. Sebastian Klein von der Castell’schen Bank eine ganz eigene Ansicht.

Dr. Sebastian Klein, Fürstlich Castell'sche Bank,
Dr. Sebastian Klein, Fürstlich Castell’sche Bank, glaubt an einen weichen Brexit oder eine ganz andere Option.

„Politische Unsicherheiten sind für die Finanzmärkte kurzfristig Gift. In ersten Reaktionen verliert das britische Pfund gegenüber dem Euro und dem Dollar an Wert. Großbritannien hat ein hohes Außenhandelsdefizit und ist damit von einem stabilen Pfund abhängig, um die britische Konjunktur zu stützen. Wir gehen aber nicht davon aus, dass die Märkte längerfristig mit Unruhe auf die Wahl reagieren“, so Dr. Sebastian Klein, Vorsitzender des Vorstandes der Fürstlich Castell´schen Bank.

Weicher Brexit oder gar kein Brexit?

Im Gegensatz zum Brexit-Votum scheinen bei der Parlamentswahl die jungen Wähler vom Herausforderer Jeremy Corbyn (Labour) mobilisiert worden zu sein. Auch das Erstarken der Liberal Democrats, die sich klar gegen einen Brexit positioniert haben, zeigt dies. Dr. Sebastian Klein: „Wir sehen uns durch diese Wahl in unserer Annahme bestärkt, dass es voraussichtlich zu keinem harten Brexit kommen wird. Entweder wird es zu einem sogenannten weichen Brexit kommen oder es erscheint auch noch möglich, dass das Thema Brexit unter den Tisch fällt. Ein solcher Exit vom Brexit ist mit Blick auf die Beteiligung der jungen Wähler und die Zugewinne der Liberal Democrats in der Parlamentswahl wahrscheinlicher geworden. Re-Europäisierung statt Re-Nationalisierung könnte die wirtschaftliche Erholung in Europa weiter beflügeln.“

Andere Finanzmarktakteure sehen in jedem Fall schwierige Brexit-Verhandlungen angesichts eines derzeit wenig handlungsfähigen britischen Parlaments.

Paul Hatfield, Global Chief Investment Officer bei Alcentra: Der Umstand, dass es im Parlament nun keine klaren Mehrheitsverhältnisse mehr gibt, dürfte die sowieso bereits schwierigen Brexit-Verhandlungen noch zusätzlich erschweren, und die daraus resultierende Unsicherheit ist für die Märkte nicht gerade förderlich. Angesichts des unklaren politischen Umfelds, in dem konkrete Veränderungen nur schwer umzusetzen sein werden, gehe ich davon aus, dass die Märkte langsam abwärts tendieren werden. Derweil dürfte das Pfund Sterling von der gerade aktuellen Nachrichtenlage bestimmt werden – je nachdem, mit welchem Ausgang man bei den Verhandlungen über die zukünftigen Handelsbeziehungen rechnet.

 Paul Brain, Leiter Anleihen bei Newton Investment Management: Ein Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse könnten die Märkte wegen der damit verbundenen Unsicherheit zwar zum Schwanken bringen, doch auch eine solche Entwicklung dürfte lediglich vorübergehender Natur sein. Wir können ein Ringen um die politische Führung und auch eine weitere Wahl nicht ausschließen. Dies verlängert die Unsicherheit. Weitere Sparmaßnahmen sind wahrscheinlich, da die Konservativen nicht in der Lage sein werden weitere Einsparungen durchzusetzen. Das wird sich negativ auf den Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) auswirken und die Renditen könnten steigen. Darüber hinaus wird es vermutlich zu einer Abwertung des Pfund Sterling kommen. Diesem Trend widerspricht allerdings die Tatsache, dass das britische Pfund relativ günstig ist. Zudem könnte sich der Glaube, dass die Regierung einen sanfteren Ansatz bei den Brexit-Verhandlungen wählt, als Irrtum erweisen.

Seite zwei: Noch weniger Zeit für Brexit-Verhandlungen 

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