„EZB wird Inflationsziel in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht erreichen“

Die Europäische Zentralbank wird sich nach Einschätzung von Kenneth Orchard, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter T. Rowe Price, für den Schwenk in ihrer Geldpolitik Zeit lassen.

Kenneth Orchard, T. Rowe Price
Kenneth Orchard, T. Rowe Price

Jüngste Äußerungen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, auf der Notenbankkonferenz in Sintra (Portugal) deuten darauf hin, dass die EZB die Zügel in ihrer bislang lockeren Geldpolitik langsam anziehen wird. „Einen raschen Schwenk im Stil der Fed, mit dem einige Markteilnehmer zur Mitte kommenden Jahres rechnen, wird es bei ihr aber nicht geben“, prognostiziert Kenneth Orchard vom US-Vermögensverwalter T. Rowe Price. „Zudem hat die Zentralbank in gewisser Weise schon jetzt den Fuß vom Gas genommen.“ Der Portfolio-Manager weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die europäischen Währungshüter ihr Programm über langfristige Kredite an die Geschäftsbanken (TLTRO II) bereits im März beendet hat. Und im April habe die EZB das Volumen ihrer monatlichen Anleihekäufe um 20 Milliarden Euro auf 60 Milliarden Euro reduziert.

„Es gibt daher im Markt Erwartungen, dass die Zentralbank im September ein Auslaufen ihres Anleihekaufprogramms verkünden wird“, sagt Orchard. „Das hätte zweifellos negative Auswirkungen auf die Kurse europäischer Staatsanleihen. Gestützt werden könnten die Anleihemärkte aber dadurch, dass das Tempo, mit dem das Programm ausläuft, deutlich geringer ist, als es bereits jetzt antizipiert wird.“

EZB wartet bis Oktober

Hinsichtlich des Zeitpunktes könnten sich die Investoren Orchard zufolge täuschen. „Wenn überhaupt ist es viel wahrscheinlicher, dass der EZB-Rat bis zu seinem Treffen im Oktober warten wird, um die Entscheidung zu verkünden. Die Inflation gibt derzeit keinen Anlass zur Sorge und im September stehen in Deutschland Bundestagswahlen an. Alles zusammen genommen schiebt das mögliche Zinserhöhungen nach unserer Einschätzung weit in Richtung 2019 hinaus.“

Druck auf Staatsanleihen, falls EZB aggressiver vorgeht

Die T. Rowe-Price-Experten haben dabei auch die Möglichkeit eines aggressiveren Vorgehens der EZB durchgespielt. Dies würde bedeuten, dass die monatlichen Volumina der Anleihekäufe schneller als erwartet zurückgeführt werden und unter Umständen sogar die Zinsen unter Umständen bereits erhöht werden, wenn das Programm noch läuft. „Jedes dieser Szenarien genauso wie eine Kombination davon sorgen für Druck auf Staatsanleihen der Eurozone“, sagt Orchard. „Daraus ergeben sich allerdings auch mögliche Gelegenheiten – etwa durch eine stetige Aufwertung des Euro oder im Bereich der Unternehmensanleihen durch eine potenzielle Outperformance von Anleihen aus dem Finanzsektor.“

Maßnahmen der EZB hängen von wirtschaftlicher Dynamik ab

Um abzuschätzen, welche Optionen die EZB letztlich ziehen wird, gilt es für den Portfoliomanager einen genauen Blick auf die wirtschaftliche Dynamik in der Eurozone zu werfen. „Während sich das Wachstum in Euroland beschleunigt und die Arbeitslosigkeit sinkt, ist die Inflation immer noch niedrig“, so der Experte, „und ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie auf Sicht der kommenden zwei bis drei Jahren nachhaltig ihre Zielmarke von zwei Prozent erreichen wird.“ In diesem Zusammenhang erinnert Orchard daran, dass die EZB die Inflationsentwicklung und nicht etwa das Wachstum im Fokus habe. Er schließt daraus: „Solange der Inflationsdruck gering bleibt, ist davon auszugehen, dass die EZB versuchen wird, vorsichtig die Konjunktur anzukurbeln, ohne in absehbarer Zukunft die Zinsen erhöhen zu müssen.“ (fm)

Foto: T. Rowe Price

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments