Theresa May ist in einer unbequemen Verhandlungsposition. Während sich die Austrittspläne der UK der Realität annähern wird deutlich, dass weder Brexit-Gegner noch -Befürwörter das bekommen, was sie wollen. Gastbeitrag von David Milleker, Union Investment
Neuer Anlauf aus London: In ihrem White Paper hat die britische Regierung ausformuliert, wie sie sich eine künftige Regelung nach dem Austritt aus der Europäischen Union (EU) vorstellen kann. Vorgesehen ist de facto der Verbleib im Binnenmarkt für Güter und in der Zollunion.
Abschied vom Wunschdenken
Premierministerin Theresa May hat sich vom Wunschdenken verabschiedet, dass sich individuelle Freihandelsabkommen mit einer grünen Grenze der EU zu Irland in Einklang bringen lassen, glaubt nun auch in London niemand mehr.
Aus kontinentaleuropäischer Perspektive muss man sagen: Der Plan ist eine Annäherung an die Realität – und das ist ein beträchtlicher Fortschritt. Auch in London erkennt man allmählich: Die Kröten, die es im Rahmen des EU-Abschieds zu schlucken gilt, sind weit größer als gedacht.
Bürokratische Ausnahmeregeln
Beispiel Zollunion: Vorgesehen ist, dass im Vereinigten Königreich theoretisch künftig zwei Formen von Einfuhrzöllen gelten. Damit schafft London ein bürokratisches Monster, da die Waren für den Verbrauch auf der Insel und die Weiterleitung in EU-Staaten unterschiedlich hoch besteuert werden müssen.
Es droht ein multilaterales System von Ausgleichszahlungen in die eine oder andere Richtung, das weder bei Exporteuren noch Handelspartnern für Frohlocken sorgen dürfte.
Beispiel Binnenmarktzugang für Güter: Selbst wenn man außer Acht lässt, dass London gerade per Handstreich die komplette britische Finanzwirtschaft und damit den wichtigsten Exportfaktor im Land düpiert hat, weil für Dienstleistungen der Binnenmarktzugang nicht gilt, so hat auch die Teilhabe der Warenwirtschaft ihren Preis, denn diesen Vorteil wird Brüssel nur gewähren, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit erhalten bleibt. Den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte zu erschweren, war indes für viele Briten eines der Hauptmotive, für den Brexit zu stimmen.
Mitspracherecht entfällt
Premierministerin Theresa May sollte daher üben, unbequeme Wahrheiten schonend zu kommunizieren. Zu denen zählt auch: Wenn die EU den Binnenmarktzugang gewährt, bedürfen alle weiteren Handelsabkommen des Vereinigten Königreichs der expliziten Zustimmung der EU.
Wie ein Handelsbündnis etwa zwischen USA und Großbritannien aussehen kann, entscheiden also nicht Washington und London, sondern Washington, London und Brüssel. Es steht nicht zu erwarten, dass diese Botschaft im nach Unabhängigkeit strebenden britischen Volk mit großem Wohlwollen aufgenommen wird.
Es zeichnet sich ab, dass Wirklichkeit wird, was die Brexit-Befürworter nie wahrhaben wollten: Der Abschied aus der EU bedeutet, dass die Briten künftig die Nachteile der Staatengemeinschaft ohne die Vorteile genießen – denn das Mitspracherecht über die Ausgestaltung des Binnenmarkts entfällt mit dem Austritt aus der EU.
Unkomfortable Verhandlungsposition
Bevor es für die EU-Kommission überhaupt Sinn macht, sich mit dem Plan eingehender zu beschäftigen, muss das Papier durch das britische Parlament. Dass Theresa Mays Bündnis dort eine dünne Mehrheit von zehn Stimmen hat, dürfte ihrer Nachtruhe abträglich sein.
Sollte das White Paper bei den Abgeordneten durchfallen, bleiben nur noch fünf Monate für eine Alternativlösung, denn im März 2019 verlässt Großbritannien gemäß aktueller Sachlage die EU. Eine komfortable Verhandlungsposition sieht anders aus.
David Milleker ist Chefsvolkswirt bei Union Investment
Foto: Union Investment