Das Thema Nachhaltigkeit hat die Finanzbranche fest im Griff. Das Angebot nachhaltiger Investments ist stark gewachsen, die meisten Finanzunternehmen berücksichtigen mittlerweile ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Aspekte (ESG-Kriterien) in ihrer Anlagephilosophie. Dadurch wird es immer schwieriger, den Überblick zu behalten und die Spreu vom Weizen zu trennen. Christian Nemeth, Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, macht fünf Herausforderungen aus, vor denen nachhaltige Investoren stehen.
Nachhaltige Geldanlagen boomen. Das betrifft zum einen sogenannte „verantwortliche Investments“, bei denen ESG-Kriterien auf Unternehmensebene festgelegt und von Asset Managern und Investoren befolgt werden. Zum anderen fallen darunter auch ausgewiesen „nachhaltige Geldanlagen“, die noch strengeren Anforderungen unterworfen sind und ESG-Kriterien auf Produktebene berücksichtigen. Laut Marktbericht 2019 (1) des Forum Nachhaltige Geldanlagen stieg das Volumen verantwortlicher Investments in Deutschland binnen eines Jahres von 1.409 auf 1.527 Milliarden Euro, jenes nachhaltiger Geldanlagen von 171 auf 219,1 Milliarden. Auch die Zürcher Kantonalbank Österreich AG integriert seit mehreren Jahren nachhaltige Kriterien in ihre Anlagephilosophie.
„Europa ist auf dem Gebiet der nachhaltigen Geldanlage sicher Vorreiter. In Deutschland haben sich vor allem viele institutionelle Investoren wie Pensions- und Vorsorgekassen ganz dem Thema verschrieben. Dies bietet auf der einen Seite die Möglichkeit, Wertsteigerungen mit einem erhöhten Qualitätsbewusstsein zu verbinden und langfristige Wachstumschancen zu nutzen. Auf der anderen Seite muss aber auch bedacht werden, dass Einschränkungen bei der Anlagepolitik die Umsetzung der Markteinschätzung im Portfolio auch erschweren kann“, sagt Christian Nemeth, Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG. Mit folgenden fünf Herausforderungen werden nachhaltig tätige Akteure konfrontiert:
1. Der Auswahlprozess ist nicht trivial
Bei der Auswahl der Unternehmen für ein nachhaltiges Portfolio ist besondere Sorgfalt geboten. Der klassische und älteste Ansatz orientiert sich an Ausschlusskriterien. In umstrittene Themen wie Waffen, Tabak, Alkohol oder Kohle wird dann beispielsweise nicht mehr investiert. Investoren sollten sich immer bewusstmachen, dass die strikte Einhaltung der Ausschlusskriterien ein Portfolio im Idealfall sauberer, fairer oder ethisch korrekter macht, aber Investments in rentable, aber nicht hundertprozentig auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmen auch verhindert. Das könnte etwa Mischunternehmen betreffen, die durch einen Teil der Geschäftstätigkeit auf der schwarzen Liste landen. Ein Beispiel ist der Luxusgüterkonzern LVMH, dessen Aktienkurs in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Neben exklusiver Mode, Schmuck und Accessoires hat das Unternehmen aber auch Champagner und edlen Cognac im Angebot und kann daher bei einer strengen Auslegung von Ausschlusskriterien nicht ins Portfolio aufgenommen werden. Ausschlusskriterien stellen generell eine sehr starre Regelung dar: Unternehmen, die sich aktuell noch nicht qualifizieren, aber auf dem richtigen Entwicklungspfad befinden, werden bis zur vollständigen Zielerreichung weiterhin diskriminiert. Im Gegenzug erhält der Investor dafür die Gewissheit, in ein sortenreines Portfolio zu investieren.
2. Enges Regelkorsett nimmt dem Markt die Luft zum Atmen
Europa ist beim Thema Nachhaltigkeit führend, die EU verstärkt die Entwicklung durch den Aktionsplan „Finanzierung Nachhaltigen Wachstums“. Die logische Folge ist, dass der Markt für nachhaltige Anlagen in den nächsten Jahren stärker reguliert wird. Das ist einerseits wünschenswert, weil sich die Vergleichbarkeit für Investoren durch internationale Standards erheblich verbessert. Andererseits birgt dieser Trend die Gefahr in sich, dass es zu einer Konzentration auf weniger Investments in den Kundenportfolios kommt. Marktteilnehmer werden gezwungen sein, aus einer reduzierten Palette an Angeboten auszuwählen. Der Grad der Diversifikation sinkt und das Risiko für den Investor könnte dadurch ansteigen. Die Diskussion mit Frankreich, ob Atomkraft nachhaltig ist oder nicht, zeigt aber auch, dass eine einheitliche Linie auf EU-Ebene nicht so einfach zu finden ist.
3. Die Datenlage ist schwer interpretierbar
Das Thema Nachhaltigkeit ist ein Verkaufsschlager, wird allerdings oft auch als Marketinginstrument benutzt. Da es noch keine geeigneten diesbezüglichen internationalen bzw. EU-weiten Standards gibt, ist der Interpretationsspielraum derzeit noch sehr groß. Anleger sollten im Idealfall immer nachvollziehen können, wieso eine Strategie als nachhaltig bezeichnet wird. Das muss mit Zahlen und Fakten belegbar sein, doch auch diesen kann man nicht blind vertrauen. Im Zusammenhang mit dem CO2-Fußabdruck wird gerne auf die direkten (Stufe 1) und indirekten (Stufe 2) Emissionen abgestellt. Dieses Konzept umfasst alle von einem Unternehmen steuerbaren Umweltbelastungen und soll so eine Vergleichbarkeit gewährleisten. Ein Blick auf die Schadstoffbilanz der beiden Technologiegiganten Apple und Samsung zeigt jedoch auch die Schwächen dieses Ansatzes. Aufgrund der stark unterschiedlichen Fertigungstiefe – Samsung produziert seine Handys großteils selbst, während Apple auf externe Fertigung durch Dritte setzt – weichen auch die CO2-Bilanzen der beiden Unternehmen um ein Vielfaches voneinander ab. Der Vergleich hinkt somit. Eine genaue Analyse des Datenmaterials ist bei nachhaltigen Investments unbedingt erforderlich.
4. Umweltschutz ist nur ein Teil von ESG
Umwelt- und Klimaschutz sind wichtige Aspekte des nachhaltigen Investierens. Die Kriterien Social und Governance werden oft außen vor gelassen, allerdings sind etwa faire Arbeitsbedingungen und Chancengleichheit beziehungsweise Compliance und wirksame Aufsichtsstrukturen ebenso relevant. Behandelt ein Unternehmen seine Mitarbeiter fair und wird ein Unternehmen von einem verantwortungsvollen Management geleitet, steigt die Wahrscheinlichkeit, konstante wirtschaftliche Leistungen und somit eine langfristig zufriedenstellende Rendite zu erbringen. Das Thema Nachhaltigkeit alleine auf den Umweltschutz zu beschränken, ist eine gefährliche Verkürzung.
5. Schwankungsbreite der Wertentwicklung
Es gibt eine Vielzahl an Studien über die Auswirkungen von ESG auf Investoren. Die meisten Veröffentlichungen stellen dem Thema Nachhaltigkeit ein gutes Zeugnis aus und belegen einen positiven Einfluss auf die Kapitalkosten oder die operative Performance der Unternehmen. Die Auswirkungen auf die Performance sind jedoch weniger eindeutig. Die vorhandenen Daten beschränken sich zumeist auf für valide Aussagen zu kurze Zeiträume und der Einfluss auf die Wertentwicklung ist häufig nicht zeitstabil. Als Investor muss jedenfalls mit zwischenzeitlichen Abweichungen gegenüber einem konventionellen Portfolio gerechnet werden. Ich welche Richtung die Abweichungen gehen werden, kann erst die Zukunft zeigen.
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