Dennoch wird nun ein zentrales Prinzip der privaten Versicherungswirtschaft infrage gestellt. In der Urteils-Begründung heißt es pauschal: Verschiedene Tarife aufgrund des Geschlechts „laufen der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider“.
Das scheint sehr polemisch zu sein, zumal der EuGH darauf verweist, „dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist“ (Az.: C-127/07). Die Branche verhält sich noch sehr ruhig. Bis zum Dezember 2012 sind reichlich eineinhalb Jahre Zeit.
Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) prüft derzeit das Urteil und seine Begründung. Man sucht offenbar nach einer Lösung, „die dem Richterspruch entspricht und trotzdem eine risikogerechte Tarifierung erlaubt“, ließ DAV-Geschäftsführer Michael Steinmetz durchblicken.
Deutlicher wird der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK): „Diese Entscheidung ignoriert, dass Männer und Frauen nun mal Unterschiede aufweisen, beispielsweise in der Lebenserwartung und im Verhalten im Straßenverkehr.
„Die Versicherer sind fortan gezwungen, Ungleiches gleich zu behandeln und deshalb aus kalkulatorischen Gründen in ihre Prämien einen zusätzlichen Risikopuffer einzubauen, was zu höheren Prämien führt“, sagt BVK-Präsident Michael H. Heinz. „Unisex-Tarife führen nicht zu mehr Gerechtigkeit, denn in Abhängigkeit von der Sparte benachteiligen sie beide, sowohl Frauen als auch Männer“, so Heinz.
„Der EuGH schafft eine Diskriminierung ab, die gar nicht besteht“, findet Henrich Blase, Gründer und Geschäftsführer des unabhängigen Vergleichsportals Check24.de. Frauen zahlen nicht prinzipiell und willkürlich mehr für Versicherungen als Männer. Auch nicht umgekehrt.
„Spielt das Geschlecht für das Risiko der Versicherung keine Rolle, hat es in der Regel auch keinen Einfluss auf die Prämienhöhe“, so Blase. Spinnt man den EuGH-Gedanken der Gleichstellung weiter, ergeben sich für Blase weitere Fragen, die das Prinzip der privaten Versicherung außer Kraft setzen.
Beispiele: Ist es nicht auch diskriminierend, dass Raucher mehr für eine Risikolebensversicherung ausgeben müssen als Nichtraucher? Oder dass Ältere höhere Beiträge bei der Berufsunfähigkeitsversicherung bezahlen, Menschen mit Vorerkrankungen vielleicht gar keine mehr bekommen? Einheitstarife sind aber das Ende der Versicherungsbranche.
Nutzt das Urteil dem Verbraucher? „Dies ist per se derzeit nicht festzustellen“, meint Blase. Sicher ist nur, dass die Prämien in Zukunft weniger differenziert berechnet werden, da ein Tarifmerkmal wegfällt.
Insgesamt werden Versicherungen für Frauen und Männer deshalb wohl nicht günstiger – im besten Fall bleibt das Prämienniveau gleich. An bestehenden Verträgen wird sich nichts ändern. Und ein junger Familienvater, der Kind und Frau absichern möchte, sollte nicht bis Ende 2012 damit warten, nur weil eventuell die Beiträge günstiger werden.
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