Dürren nie gekannten Ausmaßes, glühende Hitze, verheerende Waldbrände. Anderswo sintflutartiger Starkregen, Mega-Überschwemmungen, gewaltige Stürme. Dazu Landverlust durch den Anstieg des Meeresspiegels, Erdrutsche durch aufgetaute Berge und, und, und. Der Klimawandel bedroht unsere Existenzgrundlagen – nicht nur für die unmittelbar Betroffenen und in Bezug auf die finanziellen Schäden, sondern auch wegen der damit regelmäßig verbundenen Ernteausfälle, des teilweise dauerhaften Verlusts von Anbauflächen und drohender Konflikte um die verbleibenden Ressourcen.
Die EU will gegensteuern und hat im März 2018 beschlossen, Kapital für nachhaltige Investitionen zu mobilisieren, aber auch schädliche Investitionen zu erschweren. Nun treten sukzessive entsprechende Vorschriften in Kraft. Die Regulierung bezieht sich auf Belange der Umwelt (Environment) sowie auf soziale Aspekte (Social) und Unternehmensführung (Governance), zusammen kurz ESG. Im Mittelpunkt stehen zunächst Klimaschutz und CO2-Einsparung.
Das dürfte in der Branche der Sachwertanlagen offene Türen einrennen. Schließlich bietet kaum eine andere Kapitalanlage die Möglichkeit, so unmittelbar und konkret etwa in Wind- und Solarparks oder die Altbausanierung inklusive energetische Aufwertung zu investieren und damit – neben einer hoffentlich erfolgreichen Geldanlage – auch zum Klimaschutz beizutragen. Doch einmal mehr hat sich eine an sich gute Sache zu einem gewaltigen Bürokratieberg ausgewachsen, wie auch der Cash.-Roundtable mit den zwei KVG-Chefs Jörg Busboom (Ökorenta) und Gordon Grundler (Primus Valor) sowie der ESG-Expertin Hannah Dellemann (Intreal) auf den folgenden Seiten belegt.
Wer sich noch nicht sonderlich intensiv mit dem Thema befasst hat, benötigt vielleicht etwas Rüstzeug, um der Diskussion zu folgen: So ist bereits seit März 2021 die EU-Offenlegungsverordnung in Kraft. Sie schreibt den Unternehmen des Finanzsektors vor, in ihren Produktunterlagen, auf ihren Websites sowie in Geschäftsberichten bestimmte Informationen zur Nachhaltigkeit zu veröffentlichen. Seit Anfang 2022 gilt zudem die EU-Taxonomieverordnung, die Kriterien und Maßstäbe für nachhaltige Investitionen festlegt.
An beiden Verordnungen hängen wiederum, wie fast immer bei EU-Vorschriften, hunderte Seiten Durchführungsbestimmungen und Unterverordnungen („Level 2“), die europaweit einheitlich alle Facetten des betreffenden Vorhabens haarklein regeln sollen. Ab 2. August 2022 muss zudem der Vertrieb die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abfragen und mit den Merkmalen der Produkte abgleichen. Basis dafür ist eine bereits beschlossene Anpassung der Level-2-Verordnung zur EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II.
Die Vorschriften sind noch nicht ganz fertig. So ist die Taxonomieverordnung Anfang 2022 lediglich für zwei der sechs Umweltziele der EU in Kraft getreten: „Klimaschutz“ sowie „Anpassung an den Klimawandel“. Die vier weiteren Umweltziele folgen erst Anfang 2023 (Stichworte Wasser- und Meeresressourcen, Kreislaufwirtschaft, Umweltverschmutzung sowie Biodiversität/Ökosysteme). Zudem fehlen zu diesen vier weiteren Zielen sowie zur Offenlegungsverordnung noch technische Regulierungsstandards (RTS), und die RTS für die ersten beiden Umweltziele lassen ihrerseits eine Menge Fragen offen.
Dazu zählen auch die genauen Maßstäbe für die Einstufung einer Immobilie oder eines Fonds als nachhaltig nach Artikel 8 oder nach Artikel 9 der Offenlegungsverordnung. Ob überhaupt und nach welchem der beiden Artikel die Einstufung vorgenommen werden kann, ist eine zunehmend wichtige Frage, sowohl für den Wert eines Gebäudes als auch für die Vertriebsfähigkeit eines Fonds. Für Artikel 8 reicht es aus, (einzelne) Nachhaltigkeitsmerkmale zu fördern. Artikel-9-Fonds hingegen müssen sich aktiv für mehr Nachhaltigkeit einsetzen und dies als wesentliches Anlageziel definieren. Wo genau die Grenze zwischen beiden Artikeln zu ziehen ist und wie ausgeprägt die Ausrichtung jeweils sein muss, ist noch immer ungewiss. In beiden Fällen ist zudem Voraussetzung, dass keines der anderen Umweltziele erheblich verletzt wird („Do not significantly harm“), wobei sich wohl erst in der praktischen Umsetzung herausstellen wird, was „erheblich“ genau bedeutet.
Die Taxonomieverordnung ist dabei nicht die einzige Messlatte. Zum einen können die Unternehmen – den Segen der BaFin vorausgesetzt – auch eigene Kriterien oder Scoring-Systeme entwickeln, um ihre Produkte als nachhaltig zu klassifizieren. Zum anderen sind die Kriterien der Taxonomie nicht eins zu eins auf die neuen Vertriebsvorschriften übertagbar. Vielmehr definiert die neue Level-2-Verordnung zur MiFID II drei eigene Kategorien. Nur die erste Kategorie nimmt direkt Bezug auf die Taxonomie. Hier landen voraussichtlich in erster Linie die Artikel-9-Produkte, also „Impact Fonds“ mit dem höchsten ESG-Level. Die Kategorie 2 nimmt zwar Bezug auf die Offenlegungsverordnung, nicht aber auf die Taxonomie. Welche Kriterien stattdessen herangezogen werden sollen, ist bislang offen, auch weil die RTS zur Offenlegungsverordnung noch immer nicht vorliegen.
In der dritten MiFID-Kategorie geht es um Ausschlusskriterien, die der Kunde festlegen kann. Diese „Principal adverse impact indicators“ (PAI) kommen in der Taxonomie nicht vor. Sie knüpfen vielmehr an eine Level-2-Verordnung zur Offenlegungsverordnung an, die erst im Entwurf vorliegt und voraussichtlich erst Anfang 2023, also zeitlich nach der MiFID-Anpassung, in Kraft tritt. Dort sind dann auch Beispiele für mögliche PAI enthalten, der Kunde ist aber nicht daran gebunden und kann sich auch eigene Ausschlusskriterien ausdenken. Gerade die praktische Umsetzung dieser PAI und deren Integration in den Beratungsprozess sorgen noch für einiges Stirnrunzeln.
Für den Vertrieb wird die Sache also zunächst kompliziert, und es bleibt nur noch wenig Zeit zur Vorbereitung, sofern das Inkrafttreten der MiFID-II-Novelle nicht doch noch verschoben wird. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. So haben die EU-Aufsichtsbehörden Ende März darauf hingewiesen, dass sich die RTS zur Offenlegungsverordnung weiter verzögern. Die Termine der übergeordneten Verordnungen stehen indes nicht in Zweifel; die MiFID II kommt in dem Papier nicht vor.
So kritisieren die Experten beim Cash.-Roundtable insbesondere die Vorschriften für den Vertrieb, auch wenn sie für deren Umsetzung nicht in erster Linie verantwortlich sind (sondern der Vertrieb selbst). Auch in Hinblick auf die Assets sind noch viele Fragen offen, etwa zur taxonomiekonformen Messung der Energieeffizienz von Gebäuden oder woher der Asset Manager beim Kauf von Bestandsobjekten und -anlagen wissen soll, unter welchen – heute vielleicht kritischen – Bedingungen die Materialien einst hergestellt wurden.
Noch scheint die ESG-Regulierung also eher zu bremsen. Jedenfalls wurde bei dem Roundtable deutlich, dass sie einige Anpassungen bei Anbietern und im Vertrieb erfordert. Doch trotz der Anlaufschwierigkeiten kann ESG ein Turbo für die Branche sein. Schließlich können die Fonds-Investitionen sehr viel konkreter und „anfassbarer“ zur Rettung des Planeten beitragen als viele andere Finanzanlagen. Denn darum geht es: Nicht um einen abstrakten Kampf gegen den Klimawandel, sondern letztlich um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.