Heutzutage wird es immer wichtiger, die eigene Immobilie so energieeffizient wie möglich zu gestalten, um nicht nur eine möglichst hohe Kosteneinsparung bei der energetischen Versorgung der eigenen vier Wände zu sichern, sondern auch den Zielen des Klimaschutzabkommens von Paris, in Kraft getreten am 4. November 2016, gerecht zu werden. Dabei legt unter anderem das Gebäudeenergiegesetz (GEG) einige Pflichten bei der Erneuerung und Modernisierung von Bestandsbauten fest. Doch was passiert, wenn die nachträglich nach außen verbaute Wärmedämmung die Grundstücksgrenze zum Nachbarn überschreitet? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 1. Juli 2022 (Az: V ZR 23/21) entschieden, dass ein Nachbar die Überbauung auf seinem Grundstück zu dulden hat, wenn dies der Wärmedämmung eines Bestandsgebäudes dient. Der BGH hat zwar an der weitgehenden Regelung von Paragraph 16a des Berliner Nachbarrechtsgesetzes (NachbarG Bln) materiell-rechtliche Zweifel geäußert. Jedoch ist im Ergebnis Paragraph 16a NachbarG Bln verfassungsgemäß, sodass sich daraus der Duldungsanspruch für den Nachbarn ergibt.
Angesichts der steigenden Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden sowie der Notwendigkeit, den Energiebedarf zu senken, müssen viele Hauseigentümer nachrüsten. Die Vorgaben des GEG beziehen sich unter anderem auf die Heizungs- und Klimatechnik und den Wärmedämmstandard sowie den Hitzeschutz eines Gebäudes. Während für Neubauprojekte die Regelungen und Werte des GEG geltende Vorschriften darstellen, gilt es für Bestandsbauten, die in dem GEG festgelegten Austausch- und Nachrüstpflichten umzusetzen. Die nachträgliche Dämmung von Außenwänden kann beispielsweise einen großen Zeit- und Arbeitsaufwand in Anspruch nehmen. Laut GEG dient eine Dämmung von zwölf Zentimetern bis 16 Zentimetern als Orientierungswert für mögliche Maßnahmen an der Außenwand. „Bei Eigentümern von benachbarten Grundstücken, die durch eine Grenzwand verbunden sind, kann es zu einem Überhang der neuen Dämmung kommen. Das bedeutet, dass die nachträgliche Wärmedämmung die Grundstücksgrenze zum Nachbarn überschreitet. Solche nachbarrechtlichen Angelegenheiten sind von der Gesetzgebungskompetenz der Länder umfasst und werden demnach im Nachbarrechtsgesetz des jeweiligen Bundeslandes geregelt“, weiß Tim Wistokat, LL.M., Rechtsanwalt und Head of Legal Department bei von Poll Immobilien.
Das Berliner Nachbarrechtsgesetz besagt nach Paragraph 16a Absatz 1 NachbarG Bln, dass Eigentümer eines Grundstücks die Überbauung ihres Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung dulden müssen, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht. In dem verhandelten Fall sind die Parteien Eigentümer benachbarter Grundstücke in Berlin. Das Gebäude der Klägerin ist circa 7,5 Meter höher als das direkt angrenzende Gebäude der Beklagten. Die Klägerin hat im Rahmen einer Fassadensanierung den Giebel ihres Gebäudes mit einer 16 Zentimeter starken Dämmung versehen und damit über die Grundstücksgrenze hinübergebaut. Für die Durchführung der Arbeiten beabsichtigt die Klägerin ein hängendes Gerüst über dem Dach des Gebäudes der Beklagten anzubringen.
„In erster Instanz hat das Amtsgericht die Beklagte dazu verurteilt, die Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der Wärmedämmung der Giebelwand an der Grundstücksgrenze zu dulden. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, auch die vom Landgericht zugelassene Revision war erfolglos“, erklärt Rechtsexperte Wistokat. Und er führt weiter aus: „Der BGH stimmt der Entscheidung des Berufungsgerichts zu. Paragraph 16a Absatz 1 NachbarG Bln setzt voraus, dass die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, entlang der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt. Diese Voraussetzung ist in diesem Fall erfüllt. Weitere Einschränkungen oder Voraussetzungen sieht der Duldungsanspruch nach dem Wortlaut des Paragraphen 16a Absatz 1 NachbarG Bln nicht vor.“
Während in anderen Bundesländern ausführlichere Regelungen für den Duldungsanspruch getroffen worden sind, hält das Land Berlin die Vorschrift möglichst einfach. Der entscheidende fünfte Zivilsenat hat zwar Zweifel an der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Norm aufgrund Vereinbarkeit mit Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes geäußert. Insbesondere geht es hierbei um die Frage, ob die grundrechtlich geschützten Interessen des duldungspflichtigen Nachbarn ausreichend berücksichtigt werden. Im Ergebnis entschied der BGH dennoch, dass die Norm verfassungsgemäß ist. Die Regelung soll die energetische Sanierung von Bestandsbauten erleichtern – folglich zielt sie auf Energieeinsparungen ab und dient damit dem Klimaschutz. Daher überwiegt in diesem individuellen Sachverhalt das öffentliche Interesse gegenüber dem Schutz des Eigentums.
Fazit
„Paragraph 16a Absatz 1 NachbarG Bln ermöglicht die nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten, auch wenn dabei die Grundstückgrenze zum Nachbarn überschritten wird. Das Land Berlin setzt als einzige Bedingung voraus, dass die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, entlang der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt. Andere Bundesländer haben jedoch meist noch weitere Voraussetzungen für den Duldungsanspruch des Nachbarn in ihrem jeweiligen Landesrecht geregelt. Daher sollten sich Eigentümer vor einer Nachrüstung mit dem jeweils geltenden Nachbarrechtsgesetz auseinandersetzen. Grundsätzlich sind Maßnahmen, die der Energieeinsparung und damit auch dem Klimaschutz dienen nicht nur empfehlenswert, sondern in einigen Fällen sogar notwendig“, resümiert Tim Wistokat von von Poll Immobilien.