Cash.: Welche Auswirkungen sehen Sie in den Solvency II-Reglungen für die Branche ?
Karsten: Solvency II ist sicher ein ganz großes Thema. Leider ist aus einer prinzipiell guten Idee ein Ungetüm geworden, weil sie in die Hände irgendwelcher Bürokraten gefallen ist. Für das Ergebnis will jetzt keiner mehr verantwortlich sein. Am Ende wird der schwarze Peter irgendwie Europa zugeschoben. Dort habe man die Dinge so kompliziert gemacht, wie es sich heute darstellt. Ich stütze die Grundsatzidee, dafür Sorge zu tragen, dass Häuser solide finanziert sind und dass sich nach Möglichkeit solche Friktionen, wie wir sie im Bankensektor im Rahmen der letzten Finanzkrise erlebt haben, nicht wiederholen. Ich stütze auch die Idee, damit ein Stück weit Transparenz zu schaffen und damit auch den Kunden die Sicherheit zu geben, dass das Kapital, das den Versicherern anvertraut wird, auf Dauer nicht verloren geht. Ich zweifle nur daran, dass dieses Ziel mit diesem Modell erreicht wird. Manchmal ist weniger auch mehr. Hier wird ein bürokratischer Popanz generiert und eine Berichtspflicht in einer Dimension eingefordert, die hohe Kosten verursachen wird und damit letztendlich wieder die Rendite der Produkte schmälert und zudem gerade kleine und mittelständische Häuser überfordert. Selbst die großen Versicherer verspüren inzwischen eine gewisse Ernüchterung und versuchen diesen Geist, der sich dort ein Stück weit befreit hat wieder zurück in die Flasche zu bekommen. Letztendlich ist daraus sogar eine Diskussion entstanden, die das Geschäftsmodell der deutschen Lebensversicherung in Frage stellt. Das Besondere der Lebensversicherung im deutschsprachigen Raum ist ja gerade, dass wir mit einem Garantieanteil arbeiten. Und das heißt doch nichts anderes, als dass der Kunde bei unseren Produkten eine Garantie der Leistung bekommt. Wenn aber das, was im Rahmen von Solvency II geplant ist, weiter vorangetrieben wird, wird das Risiko vom Unternehmen komplett auf den Kunden verlagert. Ob das dann Verbraucherschutz ist und ob das der Wille der Politiker war, möchte ich gern in Frage stellen.
Cash.: Wie ist Ihr eigenes Haus auf Solvency II eingestellt?
Karsten: Wir sind in die Diskussion schon relativ früh eingestiegen und haben auch an den QIS-Studien teilgenommen. Auch für unser Haus ist dies durchaus eine Herausforderung – gerade vor dem Hintergrund der Frage, welche Parameter ich in so einer Zinsstrukturkurve anlege, da wir über ein sehr großes Portfolio lang laufender Versicherungsprodukte verfügen. Wir haben dort keine Sorge, weil wir – das haben diese Modellrechnungen ergeben – sicher sind, die erforderlichen Solvabilitäten nachweisen zu können. Dennoch stellen wir dieses Modell schlicht in Frage, weil wir nicht glauben, dass irgendjemand heute wirklich sagen kann, wie sich der Zins in den nächsten dreißig Jahren entwickelt. Wir sind ein Haus, das über hundert Jahre alt ist. Viele unserer Mitbewerber sind ähnlich strukturiert. Ähnlich sieht es auch in Frankreich aus. Es ist schon bemerkenswert, dass Unternehmen, die von Kaiserreichen bis zu Republiken alle möglichen Konstellationen durchchlebt haben, sich jetzt wirklich die Frage stellen müssen, ob es ihnen gelingt, auch noch die Europäische Union zu überleben.
Interview: Thomas Eilrich
Foto: Stuttgarter Versicherung