Deutschland ist bAV-Nachzügler
Professor Dr. Bernd Raffelhüschen vom Institut für Finanzwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg weiß, dass es vielen Arbeitnehmern ähnlich geht wie Ziegler. Doch auch die Arbeitgeber – vor allem aus dem Mittelstand – haben reichlich Fragen zur Übertragung von Anwartschaften und zusätzlich zur Insolvenzsicherung oder zur Haftung.
Dennoch, oder gerade deshalb, sieht Raffelhüschen in der bAV die ausbaufähigste Säule im deutschen Alterssicherungssystem. „Derzeit leisten die öffentlich-rechtlichen Pflichtsysteme einen Anteil von rund 85 Prozent zu den Alterseinkommen in Deutschland. In etwa 25 Jahren werden es wohl nur noch etwa zwei Drittel sein“, prognostiziert der Wissenschaftler.
Angesichts dieser Leistungsrücknahmen in der gesetzlichen Rente werde es zu Verschiebungen bei den relativen Gewichten im Drei-Säulen-Modell kommen. Dieses Modell setzt sich aus der gesetzlichen Vorsorge, der erwerbsbasierten Alterssicherung – zu der auch die bAV gehört – sowie der privaten Vorsorge zusammen.
Die Gewichte verlagern sich dabei zur privaten und insbesondere zur betrieblichen Altersvorsorge, so Raffelhüschen. Aktuell trägt Letztere nach Erkenntnissen des Renten- und Sozialexperten derzeit nur fünf Prozent zu den Alterseinkünften der Deutschen bei. Damit rangiert sie im europäischen Vergleich knapp vor Spanien an vorletzter Stelle. Um die Rentenlücke dauerhaft zu verkleinern, muss die betriebliche Altersvorsorge mittelfristig 25 bis 30 Prozent der Alterseinkünfte ausmachen, schätzt der von dem Investmenthaus Fidelity Deutschland initiierte „Kronberger Dialog Zukunftsvorsorge“.
Warum die bAV im Länder-Vergleich so schlecht abschneidet, hat vor allem mit den hierzulande herrschenden Unsicherheiten auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu tun. Wie eine repräsentative Studie des Marktforschungsinstituts TNS Infratest im Auftrag der Gothaer Lebensversicherung und FTD Executive Research zeigt, haben auf konkrete Nachfrage der Beschäftigten nur 30 Prozent der Unternehmen in Deutschland eine bAV angeboten, zehn Prozent der Betriebe wollen dies prinzipiell nicht – im Osten sind es sogar 45 Prozent, in der Dienstleistungsbranche gehören 36 Prozent der Betriebe zu den bAV-Verweigerern.
Vor allem viele Mittelständler fürchten den bürokratischen Aufwand und bieten ihren Arbeitnehmern trotz gesetzlicher Pflicht keine betriebliche Altersversorgung an. Die Folge: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in Unternehmen unter 100 Mitarbeitern haben laut Gothaer-Studie keine bAV. Das Gesamtbild stellt sich allerdings nicht ganz so düster dar: Im Dezember 2008 hatten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der zu diesem Zeitpunkt rund 27 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung.
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