Martin Wehner, Leiter Private Kfz-Versicherung bei der Allianz Versicherungs-AG, sagt wie sich das autonome Fahren auf Versicherungsprämien, Haftung und Wettbewerb auswirken könnte.
Cash.: Die Presse zitierte Sie jüngst mit der Aussage, dass die zunehmende Automatisierung zu einer höheren Verkehrssicherheit führe, was wiederum „auf lange Sicht auch Auswirkungen auf die Versicherungsprämie“ habe. Welche Folgen würden sich daraus für die Allianz ergeben?
Wehner: Grundsätzlich kann man sagen, dass zukünftig die Qualität der Assistenzsysteme die Versicherungsprämie mitbestimmen wird. Dabei sehen wir zwei Aspekte: Je weiter Techniken wie autonome Notbremssysteme in neuen Autos verbreitet sind, desto stärker wird sich die Zahl der innerstädtischen Unfälle verringern.
Gleichwohl können sich die Reparaturkosten nach einem Unfall durch die Beschädigungen der verbauten Sicherheitstechnik erhöhen, beispielsweise wenn Sensoren in der Fahrzeugfront ausgetauscht werden müssen oder bei einem beschädigten Radarsystem eine Sensor-Justierung auf dem Achsmesstand nötig werden.
Wenn die neuen autonomen Notbremssysteme ihren Zweck erfüllen und den Wagen ganz oder teilweise abbremsen, wird aber der Schaden insgesamt in jedem Fall deutlich geringer ausfallen. Andererseits muss man berücksichtigen, dass diese technischen Entwicklungen nur Einfluss auf Verkehrsunfälle haben können.
Neben den Unfällen gibt es natürlich weitere Versicherungsaspekte wie Diebstahl oder Hagel, die bei der Prämiengestaltung zu berücksichtigen sind. Man kann jedoch davon ausgehen, dass der Schadenaufwand langfristig durch automatisiertes Fahren insgesamt zurückgehen wird. Das wird dann auch zu niedrigeren Versicherungsprämien führen.
Manche Experten vermuten, dass nicht nur die Prämien in den nächsten zehn Jahren deutlich sinken werden, sondern auch die Zahl der Anbieter, weil kleinere Versicherer aus dem Markt ausscheiden. Wie bewerten Sie das Chancen-Risiko eines derartigen Szenarios für Ihr Haus?
Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu Wettbewerbern nicht äußern werden. Wir werden in der Zukunft auch autonom fahrenden Autos einen passenden Versicherungsschutz anbieten. Einzig bei der Kalkulation verlagert sich das Risiko vom menschlichen Fehler seitens des Fahrers oder Verkehrsteilnehmers zum menschlichen Fehler des Entwicklers.
In Großbritannien hat die Regierung unlängst einen Vorschlag gemacht, wie in Zukunft der Versicherungsschutz im Rahmen des autonomen Fahrens gewährleistet werden könnte: Ist der Fahrer an einem Unfall nicht schuld, sondern ein Versagen der Technik, muss der Versicherer zwar zahlen, darf den Autohersteller aber später in Regress nehmen. Wie stellt sich die Situation in Deutschland dar?
In Deutschland haben wir bereits jetzt ein System aus Gefährdungshaftung des Halters und vorgeschriebener Kfz-Haftpflichtversicherung. Damit wird der Schutz des unschuldigen Verkehrsopfers auch bei Schäden durch teil- und vollautonom fahrende Fahrzeuge gesichert und zwar unabhängig davon, ob der Fahrer oder ein Systemfehler den Unfall verursacht. Einen Reformbedarf des bestehenden Haftungssystems sehen wir deshalb für Deutschland nicht.
Nicht in allen Europäischen Ländern gibt es vergleichbare Deckungslösungen wie in Deutschland. In Großbritannien beispielsweise kennt man die Halterhaftung nicht. Dort muss sich ein Unfallopfer bei einem Unfall, der nicht durch den Fahrer sondern zum Beispiel durch einen Softwarefehler verursacht wurde, direkt an den Hersteller wenden. Das ist aus Sicht des Unfallopfers keine sinnvolle Lösung. Das deutsche Versicherungsmodell kann deshalb als Vorbild für eine europäische Lösung dienen.
Interview: Lorenz Klein
Foto: Allianz