Eine aktuelle Studie der Universität Wuppertal belegt, was die Zahlen der Frühverrentungen schon länger zeigen: Die Arbeit bis zum 66 oder 67 Lebensjahr ist für viele Menschen kein erstrebenswertes Ziel mehr. Über die Gründe für die ablehnende Haltung und die Folgen, die sich hieraus für den Einzelnen und die Gesellschaft ergeben.
Prof. Dr. Hans Martin Hasselhorn, Professor für Arbeitsmedizin an der Universität Wuppertal, erläutert das Ergebnis der seit 2011 durchgeführten lidA-Studie wie folgt: „Nur die wenigsten Befragten, die gegenwärtig 51 oder 57 Jahre alt sind, wollen wirklich bis 65 arbeiten. Viele meinen auch, dass sie es nicht können. Das interessiert hierzulande nicht nur die Politik, sondern auch die Rentenversicherung, die Krankenkassen und die Unfallversicherung – und genau diese vier sind es, welche die dritte Welle von lidA finanzieren.“
Quelle: lidA Studie
Konkret bedeutet dies, dass die Verrentung der Babyboomer nicht nur die Frage der Umlagenfinanzierung in der Sozialversicherung drastisch verschärft. Es bedeutet auch, dass der Moment des von Experten erwarteten Kollapses des Gesundheitssystems viel früher zu erwarten ist, als dies bislang angenommen wird. Bereits heute sind nur 7 Prozent der Befragten des ZDF-Politbarometers mit dem derzeitigen Gesundheitssystem zufrieden. Befragt nach möglichen Einsparungen und Verbesserungsmöglichkeiten, antworten 71 Prozent, dass Patienten zu oft zum Arzt gehen. Diese Einschätzung wird auch in der Frage der Auslastung von Notaufnahmen diskutiert. Viele Pflegekräfte und Ärzte äußerten sich in den vergangenen Monaten unterschiedlichen Medien gegenüber durchaus kritisch darüber, wer sich in die Notaufnahme begibt. Oft handele es sich gar nicht um Notfälle, sondern Personen, die kein Interesse besitzen auf einen Termin beim Hausarzt zu warten, so der Vorwurf in Richtung der Patienten.
Frauen sehen sich eher in Rente, Männer eher im Erwerbsleben
Ein wichtiges Thema in diesem Kontext stellt die Frage nach der Altersarmut von Frauen dar. Hierzu gibt die Studie weitere Impuls. Kategorisiert man anhand der Befragungsergebnisse, welche Personen sich eher im Berufsleben stehend und eher in Rente sehen, so ergibt sich eine Teilung nach Geschlechtern. Während Männer und jüngere Personen sich eher als aktiv das Arbeitsleben gestaltend wahrnehmen, wünschen sich Frauen das Berufsleben so schnell als möglich hinter sich zu lassen.
Quelle: lidA Studie
Die lidA-Studie weist in diesem Kontext auf die Frage der Rollenverteilung in Ehen hin: Obwohl viele Frauen der Generation Babyboomer Zeit ihres Lebens berufstätig waren, leben sie häufig eine klassische Rollenverteilung. So lässt sich die nach Geschlechtern geteilte Einstellung zur Frage, ob man sich einen frühen Renteneintritt leisten könne, unter anderem erklären.
Bedenklich an diesen Einschätzung ist jedoch auch ein Umstand: Arbeitssuchende Personen der Babyboomer fühlen sich eher der Rente zugehörig, wohingegen Personen in Rente mit einer kleinen entgeltpflichtigen Tätigkeit sich eher dem Erwerbsleben zuordnen. Dieser Befund der lidA-Studie gibt einen Fingerzeig auf ein bislang wenig thematisiertes Problem: Viele Neurentner sind zuweilen bereits lange an das Leben alleine zu Hause gewöhnt. Sie nehmen am sozialen Leben nicht immer teil. Dies kann sich durch den Übergang in die Rente weiter verstärken. Bereits heute belegen medizinische Studien, dass dieses Verhalten in der Konsequenz zu gesundheitlichen Folgen führt. So entsteht ein Teufelskreis, der zum weiteren Anstieg der Ausgaben für Krankheiten führt.