„Verständnis von Nachhaltigkeit ist sehr heterogen“

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Das ökonomische, ökologische und soziale Verantwortungsbewusstsein wächst in der Bevölkerung weiter. Es braucht im Vertrieb aber noch Aufklärung und Anschub, damit dieser die nachhaltige Altersvorsorge als Zeichen der Zeit erkennt.

Der Klimawandel macht keine Pause. 2019 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das zweitheißeste war 2020. Die Europäische Union hat die Signale des Planeten erkannt und die Klimaziele nachjustiert. Im Dezember 2020 verständigen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union darauf, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 deutlicher zu senken als bislang vereinbart.

Demnach sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Für die Umsetzung der ökologischen Wende und das Erreichen der Klimaziele wird viel Geld benötigt. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission jährlich zwischen 180 und 290 Milliarden Euro. Geld das die Regierungen nicht haben.

Private Investitionen fließen in Nachhaltigkeit

Und so werden private Investitionen zunehmend in nachhaltige Geldanlagen umgelenkt werden. Laut dem aktuellen Marktbericht des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) stieg das Volumen nachhaltiger Geldanlagen hierzulande zwischen 2018 und 2019 von 219,1 auf 269,3 Milliarden Euro. Ein Plus von 23 Prozent. Das starke Wachstum geht vorrangig auf institutionelle Investoren zurück.

Die deutsche Versicherungswirtschaft will in den kommenden drei Jahrzehnten Jahren insgesamt 1,7 Billionen Euro nachhaltig anlegen. Dazu hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gerade erst ein Positionspapier verabschiedet. Aber auch private Investoren spielen eine immer wichtigere Rolle. Gegenüber 2019 hat sich ihr Anteil nahezu verdoppelt. Nachhaltigkeit ist ein Megatrend geworden.

„Menschen reagieren positiv“

Gottfried Baer, Geschäftsführer der Mehrwert GmbH, und als unabhängiger Berater auf nachhaltige Geldanlagen, strategische Vermögensplanung, private und betriebliche Altersvorsorge sowie kirchliche Stiftungen spezialisiert, sagt: „Die Menschen reagieren sehr positiv, wenn sie erfahren, dass der eine oder andere Versicherer im Deckungsstock nachhaltige Anlagen berücksichtigt oder nachhaltige Fonds im Angebot hat. Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge bemerken wir, dass bei einer möglichen Auswahl zwischen dem grünen Tarif und einem konventionellen Tarif die Wahl mittlerweile stärker zugunsten der grünen Tarife ausfällt.“

„Immer mehr Anfragen zu nachhaltigen Produkten“

Die Recherchen zu diesem Artikel untermauern die Aussagen. „Wir erhalten immer mehr Anfragen von unseren Vertriebspartnern zu nachhaltigen Produkten. Viele unserer Vermittler werden konkret von ihren Kunden darauf angesprochen. Vor allem bei der jungen Zielgruppe hat die Fridays-for-Future-Bewegung das Bewusstsein verstärkt, verantwortungsvoll mit unserer Umwelt umzugehen, das stärkt natürlich auch das Interesse an einer nachhaltigen Altersvorsorge“, erklärt Frank Kettnaker, Vertriebsvorstand der Alte Leipziger-Hallesche.

Fridays for Future hilft…

Zustimmung kommt ebenfalls von Jawed Barna, Vorstand für Vertrieb und Strategische Partnerschaften bei Zurich Deutschland: „Wir merken, dass nachhaltige Anlagen einen großen Zuspruch erfahren. Mit der Friday-for-Future-Bewegung ist die Diskussion in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstudie in diesem Jahr sagen 68 Prozent der Gesamtbevölkerung und 76 Prozent der 18- bis 35-Jährigen, dass ihnen nachhaltige Anlage wichtig ist.“

…und auch die Vorgaben der EU

Eine zusätzliche Dynamik dürfte das Thema durch die EU-Kommission erfahren, die sowohl die nachhaltige Geldanlage und die Finanzberatung ab 2021 in Europa fest verankert, zeigt sich Barna überzeugt. „Für die gesamte Finanzbranche sollen damit einheitliche Standards geschaffen werden. Damit wird ein nachhaltiges Finanzsystem insbesondere im Hinblick auf die Klimaziele gefördert“, so der Zurich-Vertriebsvorstand. Zurich beschäftigte sich ganzheitlich mit dem Thema und Nachhaltigkeit und nehme das Thema in der Rolle als Versicherer, Investor, Arbeitgeber und in der Gesellschaft sehr ernst.

„Zurich hat das Ziel erklärt, zu einem der nachhaltigsten Unternehmen der Welt zu werden“, betont Barna. Als Lebensversicherer habe man den gesamten Deckungsstock hinsichtlich der ‚Responsible-Investmentstrategie‘ untersucht und wende die Strategie ganzheitlich an. Für die nachhaltige Altersvorsorge bietet der Versicherer die Produkte Vorsorgeinvest und Varioinvest Rente an. Bei Vorsorgeinvest investieren die Kunden in nachhaltige Investmentfonds oder Indexfonds mit Fokus auf Nachhaltigkeit.

Fragt man den Nachhaltigkeitsexperten Baer, welche Versicherer beim Thema Nachhaltige Altersvorsorge besonders hervorstechen, fallen die Namen Prisma Life, Concordia Oeco, Pangaea Life oder die Stuttgarter. „Das sind Häuser, die positionieren sich strategisch sehr klar und haben damit einen deutlichen Weg in Sachen Nachhaltigkeit eingeschlagen. Aufgrund klarer nachhaltiger Produktstrategien lassen sich diese Tarife entsprechend positiv in der der Beratung der Kunden einsetzten“, erklärt der Experte.

Kein Cent für Anlagen, die mit Kinderarbeit oder menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zu tun haben

„Wir haben unsere Marke Pangaea Life von Anfang an mit dem Ziel ins Leben gerufen, Kunden die Möglichkeit zu bieten, ihre Altersvorsorge auf konsequent nachhaltige Beine zu stellen. In der Konzeption des Produkts steht und stand für uns an erster Stelle, eine attraktive Rendite mit einem messbaren ökologischen Impact zu vereinen. Mit unserer hundertprozentig nachhaltigen Vorsorge Pangaea Life Investment-Rente haben wir uns in Deutschland klar in diesem Bereich positioniert“, erklärt Pangaea Life Geschäftsführer Uwe Mahrt den Ansatz. Hinter dem Produkt steht der Pangaea Life Fonds.

Das Besondere: Statt wie bei dem meisten anderen Produkten mit dem Label „Nachhaltigkeit“, investierten Kunden dort nicht indirekt in Aktienfonds, sondern direkt in konkrete Anlagen regenerativer Energiegewinnung: Also Solarenergie, Windenergie und Wasserkraft. Pangea Life wählt den Weg des Direktinvestments, weil so Mahrt, nicht wenige, der in nachhaltigen Aktienfonds enthalten Konzerne nur zum Teil nachhaltig agieren oder sogar Greenwashing betreiben würden.

Bei der Kapitalanlage berücksichtigt der Fonds zudem soziale und ethische Kriterien: „Mit strengen Ausschlusskriterien stellen wir sicher, dass kein Cent in Anlagen fließt, die mit Kinderarbeit oder menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Zusammenhang stehen. Auch Sektoren wie Rüstung, Tabak oder Pornografie haben keine Chance“, so Mahrt.

Nachhaltige Altersvorsorge

Auch Prisma Life setzt konsequent auf die Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge. „Dazu haben wir die Fondspalette noch stärker auf nachhaltige Anlagen ausgerichtet“, erklärt Holger Beitz, CEO der Prisma Life. Derzeit bietet der Versicherer 29 Nachhaltigkeitsfonds an. Bis Anfang 2021 soll die Zahl auf 50 steigen.

„Zudem haben wir die „Offenlegungsverordnung“ der EU zu den ESG-Kriterien, die ab dem 10. März 2021 angewendet werden muss, bereits heute schon in Grundzügen umgesetzt“, so Beitz. Laut Beitz stieg der Anteil nachhaltiger Investments auf Kundenseite in den vergangenen zwölf Monaten um elf Prozent.

Wer sich mit dem Thema nachhaltige Versicherungen beschäftigt und nachhaltige Lebensversicherungsprodukte sucht, kommt am Versicherer im Raum der Kirchen (VRK) nicht vorbei. Nachhaltig leben, ein respektvoller und verantwortungsbewusster Umfang mit der Schöpfung, das sei Auftrag und Verantwortung zugleich“, erläutert VRK-Pressesprecher Volker Thorn.

Beginnend mit dem Angebot eines KCD-Fonds im Jahr 2001 hat der Versicherer im Raum der Kirchen die Kapitalanlage sukzessive auf ethisch-nachhaltige Kriterien umgestellt. „Heute werden die Beiträge unserer Kunden zu nahezu 100 Prozent in nachhaltige Anlagen überführt beziehungsweise investiert“, sagt Thorn.

Bei Kapitalanlage legt der VRK die strengen Nachhaltigkeitskriterien der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz verbindlich zugrunde. „Dieser Filter enthält ethische, soziale und ökologische Aspekte und wurde in Zusammenarbeit mit der Bank für Kirche und Caritas erstellt“, so der Pressesprecher weiter.

Öko-Tarife und Klimaschutz spielen beim Versicherungsschutz der VRK schon lange eine große Rolle. Beim dem selbst aufgelegten VRK Ethik Fonds, der der einzige Fonds dieser Art am Versicherungsmarkt sei, können Kunden an den Wachstumsperspektiven der Aktien- und Rentenmärkte partizipieren, ohne dabei die ethischen Anlagegrundsätze zu vernachlässigen, sagt Thorn.

Der Fonds investiert zu 100 Prozent in ethisch nachhaltige Kapitalanlagen gemäß dem Filter des VRK. Die Anlage erfolgt zu rund 98 Prozent in europäischen Werten, die sich auf fast 400 verschiedene Beteiligungen verteilt. Darüber hinaus investiert die VRK noch in den Welt Nachhaltigkeit ETF. Immerhin 97 Prozent der Kunden entschlössen sich in der privaten als auch der betrieblichen Altersvorsorge für eine vollständig nachhaltige Anlage. „Hier hat ein ganz klares Umdenken stattgefunden“, so Thorn.

Ähnlich nachhaltig ist die Concordia Oeco aufgestellt. Das Tochterunternehmen der Concordia hat sich bereits in seiner Satzung zu einer nachhaltigen Unternehmensführung verpflichtet. „Für die Produktlinie Leben oeco – die ehemalige Oeco Capital Lebensversicherungs-AG – verfolgen wir eine konsequent nachhaltige Kapitalanlage. Dies wird durch ein separates nachhaltiges Sicherungsvermögen sichergestellt. Für die Auswahl der Kapitalanlagen gelten strikte Positiv- und Negativkriterien und explizit kein Best-in-class-Ansatz. Die Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien wird durch einen externen Nachhaltigkeits-Beirat überwacht, der mit Persönlichkeiten aus dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich besetzt ist“, erklärt Tim Schmidt, Leiter der Unternehmenskommunikation der Concordia Oeco.

Der Lebensversicherer bietet nachhaltige Altersvorsorgeprodukte in allen Schichten der Altersvorsorge. Neben fondsgebundenen Basis- und Privat-Renten gibt es „grüne“ Angebote auch in der bAV. „Für die im Rahmen der fondsgebundenen Rentenversicherung angebotenen Fonds gelten dieselben Nachhaltigkeitskriterien wie für die eigene Kapitalanlage. Neben einer ökonomischen Prüfung durch unsere Kapitalanlageexperten müssen alle nachhaltigen Fonds daher vor Aufnahme in das Portfolio einer Prüfung unseres Nachhaltigkeits-Beirats standhalten“, sagt der Pressesprecher.

Das Wissen zu Nachhaltigen Geldanlagen ist noch zu gering

Während es sich bei Concordia Oeco, Prisma Life, Pangaea Life oder VRK um kleinere, nachhaltig aufgestellte Versicherer handelt, spielt mit der Stuttgarter ein wichtiger Maklerversicherer seit über zehn Jahren sichtbar die Nachhaltigkeitskarte. „Wir haben sehr früh verstanden, dass wir mit dem bisherigen Denken nicht weiterkommen: Nachhaltigkeit ist für uns kein kurzfristiger Trend. Sie ist eine Haltung, die sich aus unserer Tradition als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ableitet. So sehen wir es ebenfalls in unserer Verantwortung, zum Erhalt der ökologischen, sozialen und ethischen Grundlagen der Gesellschaft beizutragen“, sagt Jens Göhner, Leiter Produkt- und Vertriebsmarketing Vorsorge und Investment bei der Stuttgarter Lebensversicherung.

Als einer der ersten Lebensversicherer habe man 2013 mit der „Grüne Rente“ eine nachhaltige Altersvorsorgelösung ins Leben gerufen, so Göhner.

Heute bietet der Lebensversicherer die Grüne Rente in allen Altervorsorge-Konzepten an: Als klassische Rente, Indexrente und Fondsrente mit und ohne Garantie, als Basisrente sowie Riester-Rente und betriebliche Altersvorsorge. „Dadurch heben wir uns deutlich von anderen Anbietern ab“, sagt Göhner.

Bei der Grüne Rente als klassische Rentenversicherung sichert der Versicherer seinen Kunden zu, mindestens in Höhe des Sparanteils der eingezahlten Beiträge in nachhaltige Projekte und Kapitalanlagen in das Sicherungsvermögen zu investieren. „Wir beurteilen eine Investition als ökologisch wertvoll, wenn sie die Entwicklung der Umwelt nachhaltig positiv beeinflusst. Als sozial, wenn eine Geldanlage die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft bewahrt und fördert“, erklärt Göhner die Kriterien.

Bei den fondsgebundenen Varianten können Kunden aus einer großen Zahl nachhaltiger Fonds mit unterschiedlichen Anlageschwerpunkten wählen. Und bei der indexgebundenen Variante an der Wertentwicklung des nachhaltigen Grüne Rente Index beteiligen. Die im Index enthaltenen Aktien werden nach wirtschaftlichen und ESG-Kriterien ausgewählt. Die unabhängige Rating-Agentur Sustainalytics überwacht die Qualität der Aktien hinsichtlich der ESG-Kriterien. Seine Nachhaltigkeitsinvestments lässt der Versicherer – freiwillig – vom Institut für nachhaltiges, ethisches Finanzwesen, unabhängig prüfen.

Umfangreiche Berichtspflichten

Zudem wird ein jährlicher Anlagebericht veröffentlicht. Das soll Transparenz schaffen. Die ist notwendig, denn für viele private Investoren ist der Begriff „nachhaltige Geld- und Kapitalanlagen“ noch ein Buch mit sieben Siegeln. So können gerade 14 Prozent der Bevölkerung den Begriff richtig erklären.

Nachhaltigkeitsexperte Baer: „Das Verständnis von Nachhaltigkeit ist vollkommen heterogen. Ein Teil versteht darunter nur Umwelt- und Klimaaspekte, andere wiederum schwerpunktmäßig soziale und ethische Themen. Hinzu kommen die vielen unterschiedlichen Bezeichnungen und Abkürzungen von nachhaltigen Geldanlagen: „SDG, ESG, Sustainable, Impact“, führen zu einer Verwirrung bei vielen Anlegern. Da das Wissen zu nachhaltigen Geldanlagen zu gering verbreitet ist, ist es, notwendig, den Menschen die praktische Wirkung von nachhaltigen Geldanlagen aufzuzeigen. Also eine Brücke zu Ihrem Leben zu schlagen, mit konkreten Beispielen die positiven Wirkungen einer nachhaltigen Geldanlage aufzeigen. Es geht es darum, Emotionalität ins Spiel zu bringen“, so Baer.

Vor dem Hintergrund kommt Finanzberatern eine Schlüsselfunktion zu. Doch wie die Kunden hat auch der Vertrieb noch Lücken. „Nach wie vor sind die Beraterinnen und Berater in Deutschland schlecht in diesem Thema ausgebildet. Im Rahmen einer aktuellen Umfrage signalisierten 47 Prozent der befragten Makler, dass Sie noch nie eine Ausbildung in dieser Hinsicht besucht hätten. 38 Prozent der Befragten wollten dies auch nicht tun.

Das bestätigen letztendlich auch die Umfragewerte: bei 45 Prozent kam das Thema Nachhaltigkeit noch nie in einem Beratungsgespräch vor, nur für 25 Prozent sind nachhaltige Finanzprodukte in der Beratung ein wichtiges Anliegen. Diese Werte bestätigen meine Erfahrungen im Austausch mit Kollegen und Kolleginnen. Hier ist noch viel Nachholpotential vorhanden“, lautet Baers Fazit.

Was die Offenlegungsverordnung bedeutet

Am 10. März 2021 tritt die Offenlegungsverordnung in Kraft. Dann müssen Vermittler darlegen, warum sie das Thema Nachhaltigkeit in der Beratung berücksichtigen oder nicht. „Dem Thema kann sich keiner mehr entziehen“, sagt denn Alte Leipziger-Hallesche Vertriebsvorstand Kettnaker. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, lautet ein Zitat von Friedrich Schiller. Bleibt zu hoffen, dass die Vermittler jetzt die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Jörg Droste, Cash.

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