Ein junger Mann will eine Reise buchen. Das erste, was er dazu recherchiert, ist die passende Reiserücktritts- und Gepäckversicherung. Nächtelang klickt er sich durch Online-Angebote, vergleicht Preise und Laufzeiten und ruft am nächsten Tag sofort seinen Versicherungsmakler an.
Klingt unrealistisch? Ist es auch!
Denn wegen der Reiserücktritts- oder Gepäckversicherung wird wohl niemand nachts wachliegen, um ganz sicher die richtige Entscheidung zu treffen. Stattdessen erwarten Konsumentinnen und Konsumenten, dass sie diese Leistungen selbstverständlich passgenau dazubuchen können. Der Trend geht zunehmend in Richtung Product Bundle und integrierte Ökosystemleistungen.
Für den schnellen und flexiblen Verkauf bieten sich daher eingebettete Versicherungsprodukte (Embedded Insurance) an, die aktuell immer stärker den Weg in den DACH-Raum finden. Doch für welche Segmente sind sogenannte eingebettete Produkte besonders geeignet, wer ist Vorreiter und was ist technisch zu beachten?
Zeitenwende ist in vollem Gange
In den USA ist Embedded Insurance längst etabliert. Auf den hiesigen Märkten hat die Entwicklung vor gut zehn Jahren begonnen. Nun ist ein weiterer Vormarsch von Embedded Insurance zu verzeichnen, der mit einer grundsätzlichen Verschiebung im Versicherungsmarkt einhergeht: Denn im Vergleich zu früheren Zeiten rückt der Versicherer in der Wahrnehmung von Endkundinnen und Endkunden zunehmend in den Hintergrund. Nicht mehr der große Name, sondern das Gesamtpaket der Leistung ist das, was viele Konsumentinnen und Konsumenten überzeugt.
Ein gutes Beispiel ist die Garantieverlängerung beim Kauf der Waschmaschine, die an der Kasse dazugekauft werden kann. Das mag für manchen Versicherer zunächst ungewohnt erscheinen, doch birgt es tatsächlich Chancen: Mit solchen situativen und entsprechend niedrigschwelligen Kleinstversicherungsangeboten direkt am Point of Sale lassen sich neue Märkte und Kundengruppen erschließen. Zu den klassischen Bereichen gehören Konsumgüter, Telekommunikation, Reisen oder Auto-Leasing.
Und so arbeiten die ersten großen Player unter den Versicherern bereits daran, strategische Partnerschaften mit Einzelhandel- und Warenhausketten, Reiseportalen oder Autovermietungen einzugehen – wie die Zürich Versicherung, die diese Strategie bereits sehr intensiv verfolgt und beispielsweise ihre Produkte bei einer Elektronikkette direkt am Point of Sale anbietet. Weitere werden folgen.
Was kann die IT? Was Versicherer jetzt tun müssen
Wer Embedded Insurance platzieren und verkaufen möchte, muss sie möglichst gut auf das davorstehende Produkt und dessen Zielgruppe zuschneiden. Das ist komplexer, als es zunächst klingen mag: Situative, teils sehr kurzfristige Versicherungen und damit einhergehend die sofortige Bereitstellung von Versicherungsschutz und Police erfordern eine stabile technische Basis.
Dazu gehören die schnelle, sichere Datenverarbeitung, die Anbindung von Zahlungssystemen und Schnittstellen zu Ökosystemen und den Webseiten von Kooperationspartnern. Außerdem ist die White-Label-Produzenten-Strategie, als Teilnehmer fremder Ökosysteme aufzutreten, ebenfalls eine attraktive Positionierung. Sie ist insbesondere für kleinere und mittelgroße Versicherungsunternehmen interessant, da sie den Zugang zu einem breiteren Kundenspektrum auch ohne größere eigene Marketinginvestitionen ermöglicht.
Um diese Voraussetzungen schaffen zu können, müssen Versicherer ihre IT entweder anpassen oder komplett neu aufstellen – was wiederum einiges an strategischen Entscheidungen im Vorfeld erfordert. An erster Stelle muss daher die Frage nach der Positionierung im Markt stehen: Ist die Eingliederung in ein bestehendes Ökosystem oder eine strategische Partnerschaft mit einem Unternehmen sinnvoll? Wie exklusiv und sichtbar kann oder soll die Versicherungsmarke sein? Oder ist doch ein eigenes Ökosystem die bessere Herangehensweise?
Der Weg zur passenden Lösung kann über ein so genanntes strategisches Framework gehen – ein Assessment der eigenen Möglichkeiten. Dazu gehören zum Beispiel die Frage nach dem richtigen Kooperationspartner sowie die Einschätzung von Kundenerwartungen und Servicequalität. Prozesse, Dokumente, Antragstrecken und der Customer Service müssen so flexibel sein, dass sie auch für White-Label-Produkte gerüstet sind. Zum anderen muss die technische Infrastruktur auf den Prüfstand: Wie ist das API-Management aufgestellt? Wie schaffe ich eine möglichst hohe Integrationsfähigkeit sowie die nötige Flexibilität bei den Produkten, Prozessen und Serviceleistungen?
Ein Versicherer, der seine Kernsysteme nicht aktualisiert hat, wird auf Dauer Probleme bekommen, den Kundenanforderungen gerecht zu werden. Dennoch arbeiten viele Versicherer derzeit noch mit ihren historisch gewachsenen, technisch unabhängigen IT-Strukturen.
Die Ergo Group ist hier schon weiter: Sie hat schon vor längerem eine nexible Plattform mit einem flexiblen Framework aufgebaut, das viel Spielraum für Integration lässt. Zur Strategie des Unternehmens gehört es, bei Sachversicherungen bewusst kein eigenes Ökosystem zu betreiben, sondern sich anderweitig mit embedded Produkten zu integrieren. Ähnliche Entwicklungen sehen wir bei anderen großen Häusern.
Die Kleinen und die Großen
Im Bereich der Versicherungen gegen Kleinstrisiken wie den Verlust von Konsumgütern oder Mobiltelefonen ist außerdem eine weitere Aufteilung des Versicherungsmarkts zu beobachten: Während große Häuser diese Bereiche nicht als Priorität einstufen, werden hier kleinere Häuser und Insurtechs vermehrt tätig. Sie streben aktiv an, sich für genau diese Themen zu etablieren und Kooperationen für situative und exakt zugeschnittene Kleinstversicherungsprodukte abzuschließen.
So hat sich beispielsweise die Schweizer Privatversicherung Vaudoise mit der Genossenschaft Migros, einem der größten Handelsunternehmen der Schweiz, zusammengeschlossen, um darüber eine neue und breitere Kundenbasis zu erreichen. Versicherungsleistungen von Vaudoise werden über die Migros-Webseite angeboten.
In den Fokus
Zusammengefasst: Für viele Versicherer in der DACH-Region rückt das Thema Embedded Insurance in den Fokus. Bislang wird dies zwar in vielen Häusern eher als rentable Erweiterung des Geschäfts gesehen und weniger als wirklich eigenständiger Baustein, das Hauptgeschäft wird aber nach wie vor mit den Standardprodukten gemacht. Dennoch besteht zunehmend die Bereitschaft, sich strategisch mit den Möglichkeiten von eingebetteten Versicherungsleistungen auseinanderzusetzen. Die ersten Unternehmen beschäftigen sich bereits intensiv damit, wie sie die dafür nötige Flexibilität von IT, Prozessen und Produkten herstellen können, um ihr Geschäftsmodell zu erweitern.
Gut investiert
Die Bereitschaft, auch größere Summen zu investieren, ist da, ebenso wie die Offenheit für passende Kooperationen. All das ist gut investierter Aufwand. Wer etwas Risikofreude mitbringt, dem winkt am Ende gutes Neugeschäft mit Embedded Insurance – ein gutes Testfeld, um innovative Versicherungsleistungen zu erproben, sich in neue Ökosysteme zu integrieren und darüber neue Kundengruppen und Kooperationen zu erschließen. Zwar geht damit andererseits auch eine Verschiebung der eigenen Rolle und Präsenz einher – viele Versicherer werden zukünftig mehr und mehr mit White Label-Produkten arbeiten, also im Hintergrund agieren und damit die direkte Kundenschnittstelle zunehmend aufgeben (müssen).
Dafür bekommen sie die Chance, sich in einem zunehmenden dominanten Netz von Plattformen und Ökosystemen zu etablieren. Vor allem für kleinere und mittelgroße Versicherungsunternehmen ist das ein Vorteil, da sie mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand Zugang zu neuen Kundengruppen bekommen. So wird Embedded Insurance zu einem zentralen Treiber – auf dem deutschen Versicherungsmarkt ebenso wie in der DACH-Region.
Von Thorsten Schrader und Andreas Fensterer, Q Perior.