Neulich in Amerika

Früher, so der nostalgische Rückblick, haben sie es immer verstanden, in Notsituationen ihre Kräfte zu bündeln und für positive Aussichten zu sorgen. Dieser Grundkonsens, der zu Zeiten der großen Depression in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder nach der Lehman-Pleite zu beobachten war, wird derzeit leider ersetzt durch politische Schlammschlachten.

So hat die unerträgliche Art der Schuldendebatte jedem vor Augen geführt, dass Amerika wirklich ein ernstes Problem hat. Was man hiermit – ich sehe die enttäuschten Gesichter meiner Freunde vor meinem geistigen Auge – an wirtschaftlichem Urvertrauen und Sicherheit zerstört hat, lässt sich kaum beziffern. 50 Prozent der Rating-Herabstufung Amerikas durch S&P gehen auf das Konto dieses Vertrauensverlustes.

Schlimmer als die Art der Schuldendebatte ist allerdings, dass Amerika nicht mehr perspektivisch denkt. Natürlich hat Amerika mehr Schulden als Florida Sand an seinen Küsten, aber Schuldenabbau allein ist eine Sackgasse. Denn immerhin sind Schulden spätestens seit den good old days von Ronald Reagan, sowohl bei Präsident Bush als auch zuletzt bei Obama immer das hochwirksame Zauberelixier gewesen, um aus den wirtschaftlichen Ruinen aufzuerstehen.

Würde jetzt Amerika mit Sparen tatsächlich Ernst machen und einen ausgeglichenen Haushalt anstreben, müsste die Hälfte aller Staatsausgaben – die Republikaner lehnen ja selbst die Erhöhung der Hundesteuer kategorisch ab – gestrichen werden. Dies würde, da der private Verbrauch keine Wachstumsimpulse liefert, zu einer ausgewachsenen Depression führen. Müsste man dann anschließend noch mehr Schulden machen?

Wo bleibt New Deal 2?

Das Schuldenproblem muss also in Zusammenhang mit der Nachfrageschwäche gesehen werden. „It’s the demand, stupid“, so ein amerikanischer Freund. Man muss also an den Wachstumsperspektiven ansetzen. Wo bleibt aber die Politik mit ihrem Plan B, ihrem New Deal 2, der Amerika – wie unter Roosevelt in den 30er-Jahren – zukünftig das Geld verdienen lässt, um die Schulden nachhaltig zurückzuzahlen ohne die Wirtschaft kaputtzusparen? Aber still ruht der See. Würde man jetzt in ein umweltfreundliches „Green America“ ähnlich massiv investieren wie zu Zeiten des High-Tech- und Internet-Booms, könnte eine neue klare Vision für Arbeitsplätze entstehen. Das erfordert zunächst sicherlich neue Schulden.

Dieses Geld wäre jedoch zukunftsträchtiger investiert als die bislang verabreichten, unzulänglichen Aufbauspritzen, die dem lahmenden Gaul des schuldenfinanzierten Konsums nur vorübergehend wieder auf die Beine helfen können. So konnte Bill Clinton unter anderem mit New Economy nahezu ausgeglichene Haushalte vorweisen. Warum sollte man diesen Pioniergeist nicht wieder an den Tag legen.

Amerikanische Schuldigensuche kein sinnvoller Lösungsweg

Unwürdig ist es für Amerika in jedem Fall, die Schuldigen für die Misere in der Euro-Krise zu suchen, die natürlich nicht zu leugnen ist. Aber jeder muss seine Hausaufgaben selbst machen. Die USA als der ungeschlagene Weltmeister in positiver Wirtschaftspsychologie sollte sich bewusst werden, dass die US-Konzerne ihre gewaltigen Liquiditätsberge auch deshalb nicht in Amerika investieren, weil die unsicheren politischen Rahmenbedingungen nicht gerade einladend wirken.

Es sei daran erinnert, dass die Pleite der Lehman-Bank an sich nicht schuld an der Finanz- und weltweiten Wirtschaftskrise war. Es war vor allem die folgende massive Unsicherheit, die den Banken und der Realwirtschaft den Garaus gemacht hat.

Oder wie drückt es einer meiner Freunde in den USA immer so treffend aus: „Chicken do not lay eggs if they have no rest“.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.


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Foto: Baader Bank

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